Zum ersten und letzten Mal rockten die Scorpions in der ausverkauften O2 World. Ihr Vermächtnis: klebrige Balladen und echte Kracher.
Hamburg. Als sich die Scorpions am Freitag nach der letzten Zugabe "When The Smoke Is Going Down" vor der restlos ausverkauften Hamburger O2 World verneigten, toste der Applaus. 12 000 Fans nahmen nach zwei Stunden Abschied von den Hardrock-Veteranen aus Hannover, die sich nach dem Ende der aktuellen Welttournee 2012 auflösen wollen.
Aber was ist das Vermächtnis, was wird bleiben von der schon 1965 von Saitenbieger Rudolf Schenker gegründeten Band? Das subjektive Urteil ist zwiespältig. Die Scorpions sind wahrscheinlich die deutsche Band mit den meisten grässlichen Plattenhüllen. Die weiblichen Kaugummi-Brüste auf "Lovedrive" (1979), der Hundeblick auf "Animal Magnetism" (1980) oder die zu Recht zensierte nackte Lolita auf "Virgin Killer" (1976) sind nur die Spitze des Eisberges. Und dann die "Powerballaden" für das Radio, von denen in der O2 World mit "The Best Is Yet To Come", "Send Me An Angel", "Holiday" und "Wind Of Change" gleich vier hintereinander präsentiert wurden. Nicht zu vergessen der Kuschelrocker "Still Loving You". Nicht jedermanns Sache.
Auch manche Show-Relikte aus den Stadien der 80er-Jahre wirkten mittlerweile doch eher anachronistisch: die ungezählten Macker- und Muckerposen, die langen Soli von Drummer James Kottak und Leadgitarrist Matthias Jabs und die von Frontmann Klaus Meine wie auf dem Hamburger Fischmarkt bündelweise in die ersten Reihen geworfenen Souvenir-Trommelstöcke zum Beispiel.
Aber wer dem Erbe der fünf Wirbelwind-Rocker gerecht werden will, muss zugestehen, dass die Scorpions nicht nur eine der weltweit erfolgreichsten (über 100 Millionen verkaufte Tonträger) Hardrockbands überhaupt waren, sondern auch mächtig in den Hintern treten konnten. Wenn Rudolf Schenker und Mathias Jabs in alle Ecken der Bühne sprinteten und in die Saiten droschen, wurden in der O2 World keine Gefangenen gemacht: "Bad Boys Running Wild", "The Zoo", "Dynamite", "Blackout", "Big City Nights" und natürlich "Rock You Like A Hurricane" entzündeten Flammenwände und pusteten die Balladenfeuerzeuge aus. Und "Coast To Coast" ist neben Metallicas "Orion" eines der besten Hardrock-Instrumentals der Pop-Geschichte. "Basta", wie Altbundeskanzler und Scorpions-Kumpel Gerhard Schröder sagen würde.
Fans sind jedenfalls gut beraten, sich die DVD vom Scorpions-Auftritt 2006 auf dem Wacken Open Air zu besorgen - ohne "Wind Of Change", aber mit den ehemaligen Weggefährten Michael Schenker, Uli Jon Roth (die deutschen Gitarrenlegenden schlechthin) und Herman "ze German" Rarebell als Gäste auf der Bühne. Und mit vielen Scorpions-Klassikern aus den 70er-Jahren wie "Pictured Life" oder "In Trance", die in Hamburg leider nicht gespielt wurden. Das war eigentlich das wahre Abschiedskonzert.