Der Schauspieler und Musiker sang im ausverkauften St. Pauli Theater alte internationale Schlager-Raritäten zum Thema “Nacht“.

Hamburg. Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da - vielmehr befeuert sie in ihrem Schutz Lüste, Liebe und Leidenschaft aber auch Leid und Laster. In der dunklen Sphäre der Gefühle und Abgründe ist er zu Hause: Ulrich Tukur. Unter dem Titel „Mezzanotte“ (Mitternacht) will der Schauspieler, Sänger und Musiker (53) nun auf einer Tournee mit alten internationalen Schlager-Raritäten zum Thema „Nacht“ sein Publikum betören. Beim Auftauft im ausverkauften Hamburger St. Pauli Theater wurden Tukur, sein Arrangeur und Pianist Lutz Krajenski und ihr kleines Orchester dafür gefeiert.

Ein kleiner Tisch mit Sektkühler, zwei Gläsern und Stühlen, hinten eine Leinwand, auf der liebevoll naiv gemalte Stadt- und Himmelsszenen erscheinen: Tukur, der im altmodischen schwarzen Anzug mit Fliege und winzigem Akkordeon von 1934 auftritt, braucht nicht viele Requisiten, um beim „szenischen Konzert“ Stimmung zu erzeugen. Die erreicht der gewiefte Entertainer im Nu mit sympathisch augenzwinkernder Präsenz und einer Tenorstimme, die sanft zwischen jungenhafter Unschuld und uralter Weltweisheit changiert. Und mit Songs von Gestern, in denen die Texte auch mal so lauten: „Ich bin dein Nachtgespenst, dein süßes Nachtgespenst, ich weck dich, wenn de pennst, so oft, bis du mich Liebling nennst.“

Wie das Couplet Friedrich Hollaenders aus dem Jahr 1929, das einst der später im KZ ermordete Berliner Schauspieler Kurt Gerron sang, stehen auch die anderen zwei Dutzend Titel für die hochkarätige europäische Unterhaltungskultur der zwanziger bis fünfziger Jahre. Freches, Frivoles, Liebevolles oder Melancholisches setzten ihre Schöpfer gern in geistreich hingetupfte Texte und anspruchsvolle, elegante Töne. Tukur, der seit Jahren sonst mit seiner schrägen Band „Die Rhythmus Boys“ diese Musik interpretiert, gelingt es wieder auf ureigene Weise, das Flair der vergangenen, politisch oft bösen Epoche mit frischer, liebenswerter Modernität zu verbinden. Zuhörern jeden Alters ging sein Sound in die Beine.

Dafür sorgten auch die leichtfüßigen, kunstvollen Arrangements von Krajenski, eigentlich Bandleader bei Roger Cicero, sowie dessen famoses sechsköpfiges Orchester. Bereits im September hat der in Venedig lebende Tukur mit ihnen die CD „Mezzanotte“ herausgebracht. Auf ihrer Reise durch die Nacht erklang in Hamburg neben wenigen Eigenkompositionen vor allem selten Gehörtes, das der Künstler daheim auf Schellackplatten gesammelt hat. Darunter „Underneath The Arches“, das im Musicalhall-Stil die Geschichte eines Börsianers erzählt, der nach dem Crash von 1929 auf der Straße landet. Oder das todtraurige „Vecchio Frack“. Oder auch das ausgelassene, populärere „Ich pfeif heut Nacht vor deinem Fenster“.

Als Zugabe gab es zwei Evergreens von der Elbe: Ralph Maria Siegels „Unter der roten Laterne von St. Pauli“ von 1941 und eine kühne, karge Interpretation von „Lilli Marleen“. Der Hansestadt ist der Schauspieler („Das Leben der Anderen“, 2006) ohnehin eng verbunden: Hierher hatte ihn Peter Zadek ans Deutsche Schauspielhaus engagiert, wo er 1990 den „Hamlet“ darstellte. Von 1995 bis 2003 leitete Tukur mit dem heutigen St. Pauli-Theaterchef Ulrich Waller die Hamburger Kammerspiele.