Damit er in Hamburg nicht zum “Udo Lindenberg der Malerei“ wird, geht der berühmte Maler Daniel Richter mit seiner Familie nach Berlin.

Hamburg. An diesem Wochenende schon soll Umzug sein. Dann war's das mit Hamburg für Daniel Richter, seine Ehefrau, die Regisseurin Angela Richter, und den gemeinsamen Sohn. Zum Treffen im Stammcafé kommt der Maler angeradelt, mit einer Tasche frisch gekaufter Vinyl-Platten. Danach geht es ins Atelier am Rödingsmarkt, auch das von Angela Richter mitgegründete Fleetstreet-Theater ist in der Nachbarschaft. Beim Reizthema "Hamburg und sein Kulturverständnis" nehmen beide kein Blatt vor den Mund.

Hamburger Abendblatt:

Warum ziehen Hamburger Vorzeige-Künstler wie Sie beide jetzt nach Berlin?

Daniel Richter:

Leute ziehen um, weil es ihnen da, wo sie sind, nicht mehr gefällt. Ich kann Berlin ja nicht ausstehen, aber hier ist es wahnsinnig langweilig.

In welcher Hinsicht?

Es gibt bei der Sub- und bei der Hochkultur eine Mischung aus Übersättigung und Überalterung, im Galerienbetrieb wie im Musealen. Dazu kommen die Auswirkungen der kulturellen Führungsfiguren. Vom Schauspielhaus über die Kunsthalle bis zu den Entscheidungen, wahlweise die Kunsthalle oder die Fabrik dichtzumachen, eine Elbphilharmonie zu bauen. Berlin - eine Stadt, die definitiv pleite ist - macht einfach eine viel interessantere, komplexere und modernere Museumsarbeit.

Das offizielle Gegenargument heißt: "Wir sind hier aber doch Kulturmetropole."

Ja, aber so fucking what, kann ich da nur gegenhalten. Das ist nichts, das ist alles verwaltetes, totes Geld. Wenn man sich die Kulturpolitik hier ansieht, ist das ein Desaster. Zusammen mit steigenden Mieten, einer mangelnden Sensibilität der kulturell Verantwortlichen und den üblichen Inkompetenzen wird klar: Berlin ist einfach interessanter.

Da ist Ihr Weggang schon beachtlich.

Das fällt nur auf, weil alle anderen schon weg sind. Wir sind praktisch die Letzten. Wenn man auf der Ebene "Kulturschaffende, die dem Image der Stadt dienen" argumentieren wollte, bleiben nur noch Jan Delay und Udo Lindenberg. Jonathan Meese, Christian Jankowski, Tocotronic - die sind alle längst weg. Und ich will nicht der Udo Lindenberg der Malerei in Hamburg werden.

Resignation also: Berlin ist auch Mist, aber nicht so sehr Mist wie hier?

Angela Richter:

Ich würde da widersprechen. Ich finde auch Dinge in Hamburg im Theatersektor gut, ich freue mich beispielsweise über Kampnagel und den hoffnungsvollen Anfang von Joachim Lux am Thalia. Aber in Berlin hat man noch viel mehr, ein großer Teil der Schauspieler, mit denen ich arbeite, ist auch dort. Aber nicht ohne Schmerzen verlassen wir auch alles, was wir an Hamburg lieben: Das Vienna, 1000 Robota und den fabelhaften Jockel Waitz!

Daniel Richter:

Außerdem: Peter Sempel, Buback Tonträger und Felix Jud!

Was wird aus Ihrem Fleetstreet-Theater?

Angela Richter:

Gute Frage. Wir haben jetzt so ein Klappenproblem ...

Ist nicht wahr. Das Modell Kunsthalle?

... die sind wirklich kaputt, man kann da kaum noch atmen. Fleetstreet macht jetzt eine kreative Pause, um sich neu zu formieren. Wir müssen uns neu orientieren, was auch mit der Finanzlage zu tun hat. Im Frühjahr wollen wir neu starten. Ich bleibe "artist in residence", Christan Reichel wird weitermachen und frische Künstler dazuholen.

Was hat hier für Sie das Fass zum Überlaufen gebracht?

Daniel Richter:

Das ist eine relativ lange Kette, von der Berufung des Schauspielhaus-Intendanten über den Umgang mit der Kunsthalle, die nicht stattfindenden Gespräche über den Ankauf der Sammlung Falckenberg und das Gängeviertel. Das war ja eigentlich ein erfreulicher politischer Erfolg, aber ich glaube, da wird insgeheim auch schon zurückgerudert, weil man in dieser Situation vielleicht doch nicht kaufen möchte. Alles zusammen eine Mischung aus Lähmung und nachgereichten Erklärungen für angebliche Missverständnisse, die in Wirklichkeit Fehlentscheidungen waren. Es ist ermüdend, darüber zu reden. Jede Woche kommt ein neuer Gag. Es gibt eine immer wieder sichtbare Tendenz: die Merkantilisierung eines jeden kulturellen Sektors. Das ist ja auch das Hauptargument für die Elbphilharmonie. Da sagt man: Damit kommt richtig viel Geld rein, das ist ein Touristenmerkmal, und über die musikalischen Qualitäten denken wir hinterher nach. Andererseits muss man sich immer anhören, wie reich diese Stadt ist, wie kulturfreundlich, wie mäzenatisch. Man kriegt davon aber nichts mit. Man sieht nur die neuen Bentleys am Neuen Wall und Dumpfbackenveranstaltungen.

Angela Richter:

Ich würde uns beide nicht unter das Motto stellen: Der Letzte macht das Licht aus. Wir sind vielleicht die Vorletzten.

Daniel Richter:

Man soll das nicht so auf einzelne Figuren reduzieren. Auch wenn es hier eine interessante kleine Produktion gibt, ist es sehr überschaubar. Vor zehn Jahren war das noch anders. Alle, die künstlerische Ambitionen haben, sind in Berlin. Nach Hamburg kommt einfach niemand mehr. Die großen Häuser hier liegen am Boden. Schauspielhaus und Kunsthalle, verglichen mit Kampnagel und Kunstverein - da liegen Kampnagel und Kunstverein eindeutig leider vorn.

Die Kulturbehörde hätte inzwischen 18-mal "Einspruch, Herr Richter!" gerufen.

Ach, Frau von Welck mit ihrer Mischung aus Machtgier und Inkompetenz und den ewigen Erklärungen, das hält man auch nicht mehr aus. Nach jeder Kritik kommt von da eine Stellungnahme mit einem großen "Ja, aber ..." Was heißt das? Dass alle sich das nur einbilden? Die Elbphilharmonie, Schirmer, Gaßner, Falckenberg, die Molotow-Schließung - alles nur Missverständnisse, alles nicht so gemeint, alles immer andere? Kann doch nicht sein. Wenn die Stadt Berlin, vollkommen verarmt, es mit drei Leuten hinkriegt, langsam, aber sicher das Bild einer kulturell aktiven, verbindlich argumentierenden Stadt herzustellen und Hamburg mit seinem ganzen Reichtum nicht - dann muss es ja wohl auch mit den Verantwortlichen hier zu tun haben. Und die haben halt versagt. Das einzig Verblüffende und Positive an der Kulturpolitik im weitesten Sinne ist Ole von Beusts Schulreform. Die wird die Zeit überleben. Selbst die Elbphilharmonie wird nicht dazugehören. Irgendwann hat jede größere Stadt so einen öden Prachtbau. Überall steht dieser Rotz rum.

Angela Richter:

Ich finde das Gebäude toll.

Daniel Richter:

Ich finde es ja auch toll. Aber irgendwann hat Göttingen auch so etwas, Kopenhagen hat's schon.

Was müsste denn passieren? Geld allein kann's doch auch nicht richten.

Wir sind Künstler und keine Kulturpolitiker. Aber ich weiß, dass ich hier eine Kultursenatorin habe, die gleichzeitig eine Tischtennis-WM macht ...

... und die zu ihrer Schirmherrschaft für die Gängeviertel-Besetzer meinte, Daniel Richter sei ja eher Berliner, der würde sich deswegen hier nicht so auskennen, sie müsste ihm das alles mal erklären.

Tjaha. Ich bin schon seit Mitte der 80er hier, aber damals kannten wir uns noch nicht.

Das mit dem Berliner stimmt dann bald.

Angela Richter:

Wir sind uns da einig und wollen beide gehen. Ganz viele Leute haben extrem reagiert. Der Kampnagel-Dramaturg András Siebold hat sehr lange versucht, mich hier zu halten.

Dann wird also das Berliner HAU, das Theater Hebbel am Ufer, Ihre neue künstlerische Heimat?

Nein, ich werde auch weiter auf Kampnagel Sachen machen.

Und das Atelier hier wird aufgelöst?

Daniel Richter:

Das war eh ein Interimsatelier. Ich brauche jetzt erst mal eins in Berlin, ich muss ja weiterarbeiten.

Wo wir schon bei Ateliers sind - es gibt hier jetzt doch die frisch gegründete "Kreativagentur", die ja auch Räume und Möglichkeiten vermitteln soll.

Angela Richter:

Tja.

Daniel Richter:

Tja. Das sind so Versuche, etwas zu institutionalisieren. Schon dieser Name. Das sind doch keine Danone-Berater! Das ist der Versuch, etwas zu verwalten, von dem man gar keinen Begriff hat. Kreativität ist etwas für Werber, Grafiker und Fotografen, die hat mit Kunst erst mal nichts zu tun. Der Akt des Schaffen als Künstler ist ein anderer als der eines Auftragnehmers für einen Konzern oder Sportverein. Dass man immer noch denkt, Kreativität und Kunst seien die gleiche Mischpoke, ist totaler Quatsch. Die Logik dahinter: Kunst ist immer erst interessant, wenn sie bereits durchgesetzt ist ...

... und vermarktbar ...

Das ist eine alte Klage, die geht jetzt nicht auf Bach zurück, aber fast. Das ist das Wesen dieser Stadt. Leute können hier als Künstler leben, wenn sie entweder arm sind oder sehr erfolgreich. Dazwischen ist das Investitionsrisiko für den Hamburger Bourgeois zu groß. Es gibt wenige, sehr sympathische Mäzene, die ausgleichen, was die Stadt nicht leistet. Zehn oder 20 Leute halten das Bild einer kulturell interessierten Stadt aufrecht. Den anderen 3800 Millionären ist das völlig wurst, da soll man sich nichts vormachen.

Angela Richter:

Wir wollten immer auch positiv sein und nicht klein beigeben. Die Fleetstreet war ja auch so ein Versuch und der Grund, warum ich in Hamburg geblieben bin.

Daniel Richter:

Das ist, wie man so sagt, auch gut angenommen worden. Es hat aber nie Geld von der Stadt gegeben.

Angela Richter:

Jetzt doch, nach vier Jahren, 18 000 Euro für ein Projekt. Vor einem Jahr wäre ein kleiner Schub als Anerkennung gut gewesen. Aber jetzt ist es fast schon zu spät, wobei ich keine Vorwürfe machen möchte.

Daniel Richter:

Ich schon.

Eine kulturbehördlicherseits gern benutzte Formulierung ist die "Pflege des kreativen Humus". Wie kommt es Ihnen vor, wenn betont wird, man habe der HHLA in der Speicherstadt eine Handvoll Ateliers für Künstler mühsam aus den Rippen geleiert? Hilft das?

Das hilft dann vielleicht einer Handvoll Künstler. Meine Kritik an der Stadt richtet sich an die Kulturpolitik: Die Interessierten hier müssen die Stadt in die Verpflichtung nehmen, für vernünftige Arbeitsbedingungen zu sorgen. Der Humus ist ja das, was unbeachtet am Boden liegt, da trampelt man so drüber. Hinterher mit einem Bambussprössling anzukommen, um bei dieser öden Metapher zu bleiben, ist ein Fehlverständnis. Humus muss immer gleichmäßig gegossen werden, und das macht man, indem man für reales Interesse sorgt.

Die Stadt würde jetzt sagen: Wir würden ja gern mehr in den Humus investieren, aber wir haben so was von kein Geld.

Auch nicht mein Problem. Wenn man Geld hat, die Elbphilharmonie zu bauen, muss man sich nicht wundern, wenn Leute sagen, wo sind die 200 000 Euro für Brandschutzklappen in der Kunsthalle. Die Kuratorin für Moderne Kunst verdient dort netto, glaube ich, so viel wie eine Friseuse. Jeden Tag steht im Hamburger Abendblatt, diese Stadt sei die reichste auf dem Kontinent, und gleichzeitig wird gesagt, man sei pleite, wenn es um das angeblich so geliebte kulturelle Management geht. Everbody's darling ist everybody's Depp, vielleicht hat die Kultursenatorin das zu sehr versucht. Beust ist sicher auch entsetzt, wie sich das mit der Elbphilharmonie entwickelt hat. Als Individuen sind die Leute alle sehr bedauernswert.

Wenn Sie demnächst ein Künstler in Berlin anspricht und sagt, er würde gern nach Hamburg, da kann man bestimmt super arbeiten - was wäre Ihre Antwort?

Angela Richter:

Nur zu.

Daniel Richter

(gleichzeitig): Stimmt nicht.