Die Scharia erlaubt der Iranerin Ameneh Bahrami, ihren Peiniger zu blenden. Doch persönliche Rache spiele in ihrer Biografie keine Rolle, sagt sie.
Hamburg. Irgendwann wird Madschid Mowahedi festgeschnallt und narkotisiert auf einem OP-Tisch liegen, damit er sich nicht wehren kann gegen ihre Vergeltung. Er gehört dann ganz allein ihr; seine Augen gehören ihr, Ameneh Bahrami , deren Leben er im September des Jahres 2004 auf dem Campus der Universität zerstörte, indem er ihr Schwefelsäure ins Gesicht schüttete, zur Strafe, nur weil sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte. Sie kannte ihn kaum.
Ameneh wird mit der linken Hand Madschids linkes Auge ertasten und mit Daumen und Zeigefinger die Augenlider auseinanderziehen. In der rechten Hand wird sie eine Pipette halten, gefüllt mit Schwefelsäure. Fünf Tropfen werden genügen, um sein Augenlicht auszulöschen. Und wenn sie mit seinem linken Auge fertig ist, kommt sein rechtes dran.
Ameneh Bahramis Biografie "Auge um Auge" beginnt mit dem voraussichtlichen Ende ihrer fürchterlichen Geschichte. Das ist beabsichtigt. Und noch nie war ein Buchtitel wohl nahe liegender. "Ein Verehrer schüttete mir Säure ins Gesicht. Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand", heißt es im Untertitel. Dabei spiele persönliche Rache keine Rolle, sagt sie. "Wenn ich das Urteil vollstrecke, dann werde ich sicherlich das Mitgefühl einiger Menschen verlieren. Doch wenn zukünftig ein Mann ein Gefäß mit Säure in der Hand hält, soll er sich vergegenwärtigen, was ihm droht, wenn er sein Vorhaben ausführen will."
Sie ist noch vor der Buchmesse nach Frankfurt gekommen, um ihre Biografie vorzustellen. Es ist ein warmer Spätsommertag, sie hat sich schick gemacht, auch wenn das dünne weiße Kleid ihre recht füllige Figur mehr betont als kaschiert. Für alle, die ihr nahestehen, ist Ameneh Bahrami, 32, seit jeher das "Topoli", das "Pummelchen", gewesen. Darüber hat sie als erwachsene junge Frau nur gelächelt. Denn sie war klug, hatte ein wunderschönes Gesicht und wurde von vielen Männern begehrt. Vor allem von Madschid, 27 Jahre, der verrückt nach ihr war. Ein Stalker.
Jetzt verdecken schwarze Gläser ihre linke Augenhöhle, die mit Narbengewebe zugewachsen ist. Und sie verdecken das Glasauge rechts. 18 Operationen hat sie bisher über sich ergehen lassen. Ihre Gesichtshaut ist zum Zerreißen gespannt, Narben ziehen sich über die Stirn, die Wangen, das Kinn, den Hals und die Unterarmen entlang.
Ihren Leidensweg beschreibt Ameneh minutiös, mit anklagenden Sätzen und Fragen voller Bitterkeit: "Wozu diese rote Kanne? Was machst du nur? Warum sind deine Augen so kalt und leer? Tu mir nichts, Madschid! Lass mich leben, Madschid! Himmel! Ich brenne (...) Alles lodert und stinkt. Tausend Nadeln bohren sich in mein Gesicht."
Die gemäßigten Bahramis wollten ihre Tochter nicht schon im Teenageralter versprechen. Sie sind nicht besonders wohlhabend, aber wohlhabend genug, um Ameneh Elektrotechnik studieren zu lassen, bis zu jenem verhängnisvollen Abend. Säureattentate gegen "ungehorsame" Frauen kommen in der islamischen Welt immer wieder vor. Die meisten Fälle werden jedoch gar nicht erst bekannt und häufig außergerichtlich geregelt. In Teheran hatte zum letzten Mal im Jahre 1996 ein Mann zwei Frauen mit Schwefelsäure attackiert. Man hatte ihn nach kurzem Prozess zum Tode verurteilt und gehenkt. Doch Madschid wird dieses Schicksal erspart bleiben. "Den Tod hat er nicht verdient", sagt Ameneh und versucht, sich ein Lächeln abzuringen. "Madschid darf sich nicht einfach davonstehlen. Er soll leiden wie ich." Seine mindestens zehnjährige Haftstrafe genügt dafür nicht.
Unsere Justiz kennt keine körperlichen Strafen, und die Bestrafung eines Täters durch sein Opfer schon gar nicht. Opfern bleibt die Nebenklage, um ein Mindestmaß an Genugtuung zu erreichen; auch Schmerzensgeld, wobei die gezahlten Summen im Vergleich zum erlittenen Verlust häufig lächerlich gering scheinen. Nur sehr selten kommt es zu alt-testamentarischen Racheakten wie 1981, als Marianne Bachmaier den Mörder ihrer Tochter im Lübecker Gerichtssaal auf der Anklagebank mit mehreren Schüssen tötete. Für diesen "Totschlag" erhielt sie sieben Jahre Gefängnis, aber auch unendlich viele Sympathien aus der Bevölkerung.
Amenehs Biografie "Auge um Auge" beschreibt eine Welt voller Gefühle, die für uns kaum nachvollziehbar sind. Und sie enthält alle Klischees, die wir von der von Männern dominierten Gesellschaft der "mittelalterlichen" Republik Iran zu kennen glauben, in der erst seit 1992 wieder die Scharia gilt: das religiös legitimierte, drakonische Rechtssystem des Islam, das die persönliche Rache des Opfers ausdrücklich billigt. Billigen kann. Der Erlanger Jura-Professor und Islamwissenschaftler Mathias Rohe, 49, kommentierte Ameneh Bahramis angekündigte Urteilsvollstreckung als brutales Vorgehen, das ein Menschenrechtsverstoß gröbster Art sei.
Andererseits aber erfüllte ein solcher Racheakt schon im alten Judentum eine rechtliche Funktion, da er die Blutrache zu verhindern half. Die Problematik liegt heute in der Auslegung der Scharia durch die iranischen Richter. Würden sie den Koran zeitgemäß interpretieren, wäre diese Form von Vergeltung in Iran wahrscheinlich Vergangenheit. Ameneh schüttelt den Kopf. "War ich nicht auch ein Mensch, als mir dies angetan wurde?"
Tatsächlich hatte es sich die 71. Teheraner Strafkammer nicht leicht gemacht und vier Jahre mit dem Urteilsspruch gehadert. Sogar der mächtige Justizchef Ajatollah Schahrudi hat Ameneh und ihre Mutter persönlich gebeten, zu verzeihen und das gesamte Schmerzensgeld - umgerechnet 40 000 Euro - anzunehmen. Auch eine Anwältin aus der Kanzlei der Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi plädierte auf Milde, da der internationale Ruf des Landes auf dem Spiel stehen würde.
Sie bleibt unerbittlich. Bisher habe nur ihr angegriffener Gesundheitszustand die Vollstreckung des Urteils verhindert, sagt sie. Sie will noch abwarten mit dem Vollzug. Das ist wahrscheinlich auch gut für den Buchverkauf. Denn die einzige Frage, die eigentlich noch interessant ist, lautet: Wird sie es tun, oder wird sie es nicht tun? "Ich könnte auf die Vollstreckung verzichten, wenn ich wüsste, dass meine Gnade eine bessere Wirkung auf die iranische Männergesellschaft ausüben könnte", sagt Ameneh. Doch viele iranische Frauen hätten ihr geschrieben: "Du tust es auch für uns, denn in Iran kannst du als Frau nicht normal leben."
Ameneh Bahrami weiß, wen diese Frauen meinen: "Männer wie Madschid müssen erzogen werden. Er ist ein Barbar und versteht daher auch nur die Sprache der Barbaren!" Noch hat sich kein iranischer Arzt bereit erklärt, Madschid zu betäuben und die Blendung medizinisch zu beaufsichtigen.