Schauspielhaus: Friedrich Schirmer wird der neue Intendant. Was sind seine Pläne?
Hamburg. Morgen entscheidet der Aufsichtsrat darüber, wer von 2005 an Intendant am Schauspielhaus werden soll. Einziger Kandidat ist Friedrich Schirmer. Um 14.30 Uhr ist Schirmer zur Vertragsunterschrift ins Rathaus gebeten. Wir sprachen mit ihm über seine Pläne für Hamburg.
ABENDBLATT: Der Etat des Schauspielhauses ist seit zehn Jahren nicht mehr gestiegen, die Zuschauer bleiben zunehmend weg. Was planen Sie, um das Theater wieder attraktiv zu machen?
SCHIRMER: Das Schauspielhaus ist ein wunderschönes Theater. Aber die Situation dort ist zum Davonlaufen. Momentan kommt das Haus mit seinen Betriebskosten nicht klar. Die Reserven von Frank Baumbauer sind aufgebraucht. Die Einnahmen sinken. Tom Stromberg hat jetzt die große Aufgabe, die nächsten zwei Jahre noch zu nutzen. Ich fange ja erst 2005 an. Und natürlich gehe ich davon aus, dass es dann keine Schulden, sondern einen kleinen Überschuss geben wird.
ABENDBLATT: Was planen Sie künstlerisch?
SCHIRMER: Man braucht drei Jahre, um das künstlerische Profil eines Theaters durchzusetzen. Ich will versuchen, eine erotische erste Spielzeit hinzubekommen, mit Glücksmomenten, Abstürzen aber hoffentlich auch triumphalen Siegen. Dafür braucht man viel Fortune. Die zweite Spielzeit wird sehr hart, denn dann lassen sich die Zuschauer nicht mehr überraschen. Da müssen wir gemeinsam durch. In der dritten Spielzeit kann es den zweiten Wind geben. Auf den setze ich.
ABENDBLATT: Welche Knackpunkte gab es in den Verhandlungen?
SCHIRMER: Natürlich geht es darum, wie die finanzielle Grundausstattung aussehen wird. Ohne ein kleines Polster kann man nicht beginnen. Beide Seiten haben bis zur jeweiligen Schmerzgrenze verhandelt. Das hat richtig wehgetan. Ich war bereit, bei meinen persönlichen Bezügen Abstriche zu machen. Dasselbe erwarte ich von allen, die mit mir in dieses fröhliche Kamikaze-Unternehmen einsteigen werden.
ABENDBLATT: Das Angebot, Schauspielhaus-Intendant zu werden, ist Ihnen erst vor vier Wochen gemacht worden. Überrascht?
SCHIRMER: Ich hatte mich zuvor nicht mit der aktuellen Situation am Schauspielhaus auseinander gesetzt. Aber wenn dieses wunderbare Theater ruft, dann muss man diesem Ruf folgen. Augenblicklich! Bange machen gilt nicht. Natürlich habe ich es auch gerne, wenn mir signalisiert wird: "Wir brauchen dich." Ich habe mich bereits mit Mitarbeitern des Schauspielhauses unterhalten, da ist mir so viel Sympathie und Erwartung entgegengekommen. Sehr positiv. All dem will ich mich lustvoll stellen.
ABENDBLATT: Waren Sie in letzter Zeit mal im Schauspielhaus? Kennen Sie hier das Publikum?
SCHIRMER: Das Schöne an meinem Beruf ist die Naivität eines Parsifals, die man dafür braucht. Wenn man von vornherein zu viel über eine Sache weiß, wird dieses Wissen lähmend. Man darf sich nicht einschüchtern lassen. Ich bin regelmäßiger Besucher der Hamburger Theater. In der vergangenen Woche habe ich eine Vorstellung besucht und den Zuschauerraum des Schauspielhauses einfach auf mich wirken lassen. Ich hatte den Eindruck, einer schlafenden Schönheit zuzuschauen. Es war ein sehr gutes Gefühl.
ABENDBLATT: Sie haben in Ihren zehn Stuttgarter Jahren sehr viele Künstler entdeckt. Haben Sie das auch für Hamburg vor?
SCHIRMER: Ich bin treu, aber ich habe mich auch an den bisherigen Stationen meiner Arbeit immer auf den neuen Ort eingelassen und werde sicher nicht Stuttgart nach Hamburg verlagern. Ich muss jetzt etwas Neues für Hamburg erfinden, so wie ich für Stuttgart Kusej, Loy, Goerden oder Kimmig erfunden habe. Das Schauspielhaus muss innovativ bleiben. Aber Innovation, die niemand wahrnimmt, weil der Zuschauerraum leer ist, hat keinen Sinn. Ich will das Kunststück hinbekommen, populär zu sein, ohne populistisch zu werden.
ABENDBLATT: Ihre Frau, Marie Zimmermann, ist Schauspieldirektorin der Wiener Festwochen und Expertin für Off-Theater. Lassen Sie sich von ihr beraten?
SCHIRMER: Wir beraten uns gegenseitig, und wir sind gelegentlich auch ein Team. Wir planen gemeinsam das Festival "Theater der Welt" für Stuttgart. Auf meinen Reisen, die ich für das Festival unternehme, werde ich auch Entdeckungen machen. Junge Regisseure, die die Kraft und auch den Instinkt haben, für diese große Bühne zu inszenieren.
ABENDBLATT: Das Thalia ist gerade zum besten deutschen Theater gekürt worden. Wie können Sie das Schauspielhaus demgegenüber positionieren?
SCHIRMER: Das Thalia-Theater hat einen großen Abonnentenstamm, den gibt es am Schauspielhaus nicht. Aber beim Theater ist es wie beim Fußball, wenn es läuft, läufts. Dem einen Verein gelingt fast alles, dem anderen wenig. Ich schätze den brüderlichen Wettkampf sehr. Wir werden mit dem Thalia in Freundschaft konkurrieren. Ich will in Hamburg ein gutes Klima für das Schauspielhaus erzeugen. Das bedeutet harte Arbeit. Aber auf diese Herausforderung, die die größte Herausforderung ist, die das deutsche Theater zu vergeben hat, freue ich mich.
ABENDBLATT: Sie sind Bremer, bedeutet Hamburg eine Heimkehr?
SCHIRMER: Ich bin 1970 als dicker 18-jähriger Hospitant von Bremen aufgebrochen. Ich konnte nichts, hatte ein mittelmäßiges Abitur und wollte nur zum Theater. Manchmal denke ich, mein Gott, auf was lasse ich mich da jetzt ein. Ich habe nichts zu verlieren. Ich will dem Theater alles geben. Bis Sommer 2005 noch in Stuttgart, danach in Hamburg. Man muss mehr halten, als man verspricht. Ich verspreche, dass ich mein Bestes geben werde.