Bestsellerautor John Grisham kam zu seiner ersten deutschen Lesung nach Hamburg. Den Fall Kachelmann sieht er als Romanstoff.

Hamburg. Weißes Hemd, korrekte Frisur, glattes, irgendwie unverbindliches Gesicht. John Grisham könnte auch Nachrichtenmoderator sein, einer, der trotz gefälliger Optik nicht allzu sehr von den News ablenkt. Lebendig wird der Bestsellerautor erst im Gespräch, mit charmantem Südstaatenakzent erklärt er, warum er noch nie eine Lesung in Deutschland hatte - bis gestern jedenfalls, als er als Stargast des Harbour Front Literaturfestivals in Hamburg las. Ein Gespräch über professionelles Lügen, die Schwierigkeit, Sexszenen zu schreiben, und die Romantauglichkeit von Jörg Kachelmann.

Abendblatt:

Ihr Auftritt in Hamburg war trotz Ihrer immensen Popularität Ihre erste Lesung in Deutschland. Warum?

John Grisham:

Ach, die Verleger bitten ja immer darum, in allen Ländern, in denen ich publiziere. 35 Städte in 34 Tagen, solche Sachen. Viel Druck. Das will ich einfach nicht.

Meine Vermutung war: Flugangst.

Grisham:

Das habe ich tatsächlich eine ganze Weile erzählt! Funktionierte ziemlich gut. Eine normale Absage half nicht, aber wenn ich sagte "Flugangst!", hatten alle Verständnis. Jetzt nicht mehr, irgendwann sind die Leute drauf gekommen, dass ich lüge.

Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass das Lügen der rote Faden Ihres Berufslebens ist? Sie waren erst Anwalt und sind jetzt Schriftsteller.

Grisham:

Lügen? Nein. Fiktion, ja.

Ist das nicht auch, auf eine gewisse Art, eine Form der Lüge?

Grisham:

Na ja, klar, als Anwalt lernt man, die Fakten zu dehnen. Man muss ja parteiisch sein, zwangsläufig, und dabei wird die Wahrheit ... nun ja, manchmal vernebelt. Das Schreiben aber würde ich nicht Lügen nennen.

Sie schaffen eine neue Realität.

Grisham:

Absolut. Es gibt ja verschiedene Abstufungen der Wahrheit.

Sind Sie über die Jahre auch im Privatleben besser geworden darin, gelegentlich eine etwas andere Realität zu schaffen, die Wahrheit zu frisieren?

Grisham:

Oh, fragen Sie mal meine Frau. Wenn ich mal übertreibe, sagt sie immer: Du Schriftsteller, hier geht's wieder los! Meine Frau kann allerdings überhaupt nicht lügen. Anders als ihr Vater. Mein Schwiegervater ist ein großer Geschichtenerzähler, auch mein Vater und mein Großvater waren so. Das hat viel mit dem amerikanischen Süden zu tun. Man sitzt auf der Veranda, weil das Haus keine Klimaanlage hat, es ist heiß, und du hörst all die fantastischen Geschichten. Ich bezweifle, dass alle wahr waren. Aber sie werden wieder und wieder erzählt - und irgendwann sind sie Teil der Realität.

Ihr Verlag sagt, "Das Gesetz" sei Ihr persönlichstes Buch. Inwiefern?

Grisham:

Die Kleinstadt, das Denken dort, das ist meine Herkunft. Die Stories spielen in Mississippi, dort bin ich aufgewachsen, dort leben die Menschen, die ich kenne. Manche erinnern mich an mich selbst, als ich jung war, ich war auch ein sehr frustrierter Anwalt. Auch die Geschichte über den Aidskranken, der einen Ort zum Sterben sucht, hat einen persönlichen Hintergrund. Zwei meiner Freunde sind an Aids gestorben, schon in den 80er-Jahren, als Aids brandneu war. Auch sie wussten damals nicht, wohin sie zum Sterben gehen sollten, ihre Familien wollten sie jedenfalls nicht mehr aufnehmen, weil sie mit ihrem Lebensstil nicht einverstanden waren.

Wenn Ihre Erfahrungen der Funken sind, aus denen Erzählungen werden - wie lange tragen Sie so einen Funken mit sich, bevor daraus Prosa wird?

Grisham:

Manche seit mehr als 20 Jahren. Viele von diesen Ideen sollten Romane werden, aber es stellte sich heraus, dass sie sich dafür nicht eigneten.

Das heißt, Sie schmeißen Ideen nicht weg, sondern sammeln sie? Wo?

Grisham:

Manches in einem Notizbuch, das meiste im Computer. Ein fetter Ordner voll mit Zeugs.

Wie haben Sie den Ordner genannt?

Grisham:

Ähm, das hat noch niemand gefragt. (Verlegenes Räuspern.) Also, er heißt "ass notes". (Übersetzt: Arsch-Notizen. Grisham grinst.) Wegen "assorted notes"! Also: Ausgesuchte Notizen!

Noch nachdem Sie mit "Die Firma" zum Bestsellerautor wurden, haben Sie eine Frau vor Gericht vertreten. Wie müsste ein Fall heute sein, damit Sie sich als Anwalt dafür interessieren?

Grisham:

Ich wäre wohl nicht mehr als Anwalt interessiert. Nicht direkt jedenfalls. Ich habe mal ein Buch über jemanden geschrieben, der unschuldig zum Tode verurteilt wird und habe bei der Recherche zwei Häftlinge kennengelernt, die ebenfalls unschuldig im Gefängnis sitzen. Ich versuche immer noch, sie da rauszuholen.

Wie machen Sie das?

Grisham:

Ich bezahle Anwälte und Detektive, kontaktiere große Anwaltskanzleien und Organisationen, die sich auf solche Fälle spezialisieren. Ich arbeite nicht direkt anwaltlich, ich helfe.

Wie gut funktioniert es?

Grisham:

Gar nicht.

Wofür wurden die beiden verurteilt?

Grisham:

Mord. Das Problem ist: Sie haben ein Geständnis abgegeben. Diese falschen Geständnisse sind faszinierend. Mein nächster Roman "Das Geständnis" wird das zum Thema haben.

In Deutschland gibt es derzeit keine Verhandlung, über die mehr geschrieben wird, als die über einen prominenten Wettermoderator, der der Vergewaltigung an seiner Geliebten angeklagt wird. Haben Sie davon gehört?

Grisham:

Oh, Mann. Nein. Waren die beiden vorher lange zusammen?

Ziemlich. Er war allerdings auch verheiratet und sie war nicht die einzige Geliebte.

Grisham:

Na, noch besser. Wow.

Potenzieller Stoff für einen Grisham-Roman?

Grisham:

Das ist ziemlich gut! Da muss ich mal drüber nachdenken. Doch, ja, könnte einen Roman abgeben! Die Fakten, ohne sie genau zu kennen, reichen ja schon aus. Wann und wie sagt eine Frau Nein? Wann beginnt Vergewaltigung in einer Beziehung? Ziemlich faszinierend. Wow, diese Anschuldigung wird er wohl sein Leben lang nicht mehr los. Einer lügt.

So ist es. Apropos Wahrheit: Entspricht es eigentlich der Wahrheit, dass Sie keine Sexszenen schreiben können?

Grisham:

Ja. Sie werden nur komisch! Einmal habe ich eine geschrieben, nur um die Reaktion meiner Frau zu sehen. Wir lesen immer abends im Bett und ich hab sie aus den Augenwinkeln beobachtet, bis sie an die Stelle kam. Sie las es - und prustete los vor Lachen! "Das willst du nicht wirklich veröffentlichen", hat sie gekichert.

Netter Trick. Sie hatte bestimmt Angst, dass Sie wahre Geschichten verraten.

Grisham:

Wahrscheinlich! Obwohl - einmal hatten wir ein gemeinsames Fernsehinterview und der Journalist fragte mich, warum in meinen Büchern kein Sex vorkommt. Darauf hat sie dann geantwortet: Weil er sich damit nicht auskennt.