Beim Filmfestival von Venedig hat Sofia Coppola mit ihrem jüngsten Werk “Somewhere“ große Chancen auf einen Goldenen Löwen
Venedig. Sofia Coppolas Welterfolg begann in Venedig - mit "Lost in Translation". Nun kann sie ihren Triumph wiederholen. "Somewhere", den die 39-Jährige am Freitag in Venedig vorgestellt hat, handelt von einer Vater-Tochter-Beziehung, genauer: von einem berühmten Vater und einer vernachlässigten Tochter.
Alle wollen darin natürlich gleich Anspielungen auf den überlebensgroßen Daddy Francis Ford Coppola sehen, der ihre Filme mitproduziert. "Es ist nicht alles von mir, aber es gibt Sachen aus meiner Kindheit", sagt sie dazu. Von Abrechnungen also keine Spur. "Somewhere" ist, im Gegenteil, eine Art Liebeserklärung. Erneut zieht es die junge Coppola, wie in "Translation", ins Hotel. Diesmal ist es das Chateau Marmont in Los Angeles, in dem seit Jahrzehnten die Stars einchecken. Hier haust der Filmstar Johnny Marco (Stephen Dorff) und führt ein wildes Leben zwischen schnellen Wagen, rauschenden Partys und flüchtigem Sex. Bis seine Ex eine Auszeit braucht und er sich plötzlich um seine elfjährige Tochter (Elle Fanning) kümmern soll. Coppola beobachtet wunderbar lakonisch, wie das Mädchen dieser fremden Welt mit Neugierde begegnet und den Vater doch böse anschaut, wenn wieder einmal eine Fremde am Frühstückstisch sitzt. Überwiegend wird der Film über stille Blicke und flüchtige Gesten erzählt. Und auch die Erkenntnis des Stars, dass er eigentlich selbst noch ein Kind ist und endlich erwachsen werden muss, kommt wie nebenbei.
Coppola weiß, welches Milieu sie beschreibt. Sie überlässt alle Bewertungen dem Zuschauer. "Somewhere" ist der erste große Höhepunkt dieses Filmfestivals in Venedig, das am Mittwoch eröffnet wurde. Der Film spinnt einen roten Faden fort, der sich durch das erste halbe Dutzend der insgesamt 24 Wettbewerbsstreifen zieht: Viel dreht sich um Frauen, die lieben, sich verlieren, um Zuneigung kämpfen und auch leiden. Und das nicht nur im Sündenpfuhl Hollywood und auch nicht nur heute. Das Los der Frauen gibt den Takt vor in Julian Schnabels Film "Miral" (der Film wird auch beim Hamburger Filmfest gezeigt), der vor mehr als sechs Jahrzehnten in Palästina beginnt, und auch in Anh Hung Trans "Norwegian Woods", das ein Japan der unruhigen 1960er-Jahre zeigt.
Noch bis zum 11. September geht das Film-Rennen um den begehrten Goldenen Löwen, erst gegen Ende tritt der deutsche Regisseur Tom Tykwer mit seinem jüngsten Werk "Drei" an. Und das unter den gestrengen Augen der diesjährigen Jury mit dem amerikanischen Starregisseur Quentin Tarantino als Präsident. Italienische Blätter waren besorgt, dass dessen Vorliebe für gewaltgespickte Filme aus Asien bei der Preisvergabe durchschlagen könnte. Doch der Leiter des Festivals, Marco Müller, ein gebürtiger Römer mit Schweizer Abstammung, hatte die Kritiker besänftigt: Dafür kenne er den Meisterregisseur von "Kill Bill" zu lange und zu gut. Blut, Schweiß und Tränen, die in dem Eröffnungsstreifen "Black Swan" von Darren Aronofskys eine vielleicht zu übermächtige Rolle spielen, könnten dem Juryleiter allerdings doch gut gefallen haben.
Die Auswahl des Eröffnungsfilms stellt stets einen Kompromiss dar, muss er doch dem wenig cinephilen Eröffnungspublikum von Geschmack und Länge her zusagen. "The Black Swan" (in der Hauptrolle: Natalie Portman) geht unter den Auftaktfilmen in jedem Fall als einer der besten der vergangenen Jahre durch. Darren Aronofsky selbst, der einst als New Yorker Regisseur von Independentfilmen begann, ist damit endgültig im großen Hollywoodkino angekommen.
Und Sofia Coppolas Tag auf dem Festivalgelände? War ziemlich aufregend. Als ein starkes Gewitter am Freitagnachmittag Wogen an den Strand peitschte und eimerweise Wasser durchs Dach des alten Pressepalastes trieb, mussten die versammelten Kritiker und Fotografen abrupt ihre Arbeit abbrechen. Der Vorfall warf ein Schlaglicht darauf, dass das Lido-Gelände weiterhin nur eine Baustelle ist, ein moderner Festivalpalast lässt auf sich warten. Nach langen Jahrzehnten der Verhandlungen war vor zwei Jahren endlich die Grundsteinlegung für einen neuen Festivalpalast erfolgt. Doch seit dem vergangenen Winter ist die Baustelle wegen Asbestgefahr stillgelegt.
Nun prangt mitten im Festivalgelände eine halb aufgegrabene Grube, die sämtliche Festivalgäste in enge Umwege zwängt und das größte Kapital Venedigs, seinen historischen "Glamour", schwer beschädigt. Es sieht nicht so aus, als ob sich daran bald etwas ändern würde. Aus der zunächst geplanten Fertigstellung bis 2011, Jubiläumsjahr der Einigung Italiens, wird auf jeden Fall nichts. Und an das angekündigte Datum 2012 ist angesichts der aktuellen Untätigkeit auch nur schwer zu glauben.