Mit der Kulturwoche startet am Sonntag ein Programm für sehbehinderte Künstler im Thalia-Theater. Mit Außerirdischen und silbrigen Anzügen.
Fabrik. "Was ist die Erde?" Die drei Aliens wackeln ratlos mit den grünen Tüllantennen. Beim Müllsammler-Rap haben sie einen Satelliten gefunden: "Botschafter von der Erde". Als sie den schweren Blechpott neugierig öffnen, erklingt Musik. DJ Piratos mit dem Wahnsinnssound funkt aus seinem Keller illegal ins All. Die Außerirdischen in ihren silbrigen Anzügen sind entzückt. Sie tanzen im Reggae-Groove "Wellen voll Erotik". Finden dann im Planetenschulatlas den kleinen Blauen und beschließen: "Rakete startklar machen!"
In der Aula des Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte am Borgweg wird für das galaktische Musical "AlienRock" auf Hochtouren probiert. Die Uraufführung von Stephan Greve und dem Komponisten Jan-Christoph Mohr gehört zu den Highlights der am Sonntag startenden Kulturwoche. Erstmals veranstaltet die Hamburger Blindenstiftung das Programm unter dem Motto "Kultur verbindet". Es führt 130 sehbehinderte und sehende Künstler aus ganz Deutschland und ihre Besucher in Theateraufführungen, Klassik- und Pop-Konzerten sowie Ausstellungen zusammen.
Die Kulturwoche eröffnet an diesem Sonntag um 18 Uhr im Thalia-Theater mit den musikalischen Satirikern Plückhahn & Vogel und Ragtime-Blues der Autobahnkapelle.
Etwa 26 Projekte bietet das von Andrea Hötger (Age of Art) und Stephan Greve organisierte Programm an sechs Spielorten der Stadt bis zum 29. August. Im Spiegelsaal des Museums für Kunst und Gewerbe geben die Sopranistin Christine Schmidtke und Pianist Martin Rohlfing einen klassischen Musikabend (23.8., 20.00). Die Rockband Sunday Morning Tea Party mit dem blinden Frontmann Michael Herbst spielt in der Markthalle (25.8., 21.00), und das Theater Die Blindgänger zeigt auf der plattform-Bühne des Ernst-Deutsch-Theaters sein "Wildwechsel"-Projekt (25.8., 18.30).
Am Spielbudenplatz laufen die Tagesveranstaltungen ab 23. August (jeweils ab 14.00), darunter Golfen für Blinde (26.8.) und Blindenfußball vom FC St. Pauli (27.8.). Zur Kulturwoche eröffnen auch zwei Ausstellungen: Das Iris Institut präsentiert ab 23.8. "Taktile Kunst" von Bärbel Frank, und Achim Greve zeigt Fotografien zum Thema "Hamburg und Blind" in der Fabrik, wo auch ab 24. August die Wesen vom fremden Planeten "AlienRock" die Freuden der Musik entdecken.
Regisseur Stephan Greve hat sich für das Musical viele technische Tricks mit Licht und Sound einfallen lassen. Doch die Tontechnik streikt gerade mal wieder. "Weiterspielen", ruft er ganz ruhig. DJ Piratos (Carsten Freese) bleibt cool und singt mit einem Seitenblick seinen Song "Ich krieg die Krise".
Wie in "AlienRock" zwei einander fremde Planeten begegnen, prallen auch im Ensemble von blinden, sehbehinderten und sehenden Spielern verschiedene Welten aufeinander. Ergibt sich im Stück der Kontakt durch die Musik, fanden die Akteure bei der achtwöchigen Probenarbeit für das galaktische Musical zusammen. "Sehbehinderte Menschen haben ein anderes Verhältnis zu ihrem Körper", erklärt Regisseur Greve. "Ich kann nicht wie bei Schauspielern automatisch Körperausdruck und Gestik voraussetzen. Sehbehinderte oder Blinde müssen sich erst ihres Körpers bewusst werden und Bewegungen kontrollieren lernen." Alien-Boss Alexander Ebel bestätigt die Erfahrung. "Ich habe mich wegen des Musicals beworben, weil ich viel gesungen habe und auch Gesangsunterricht bekam", erzählt er. "Aber ans Theaterspielen hatte ich gar nicht so richtig gedacht. Dass da viel mehr dazugehört als das Singen. Ich lerne das bewusste Einsetzen des Körpers und musste mit den anderen die Tanzschritte richtig üben."
Auch die sehenden professionellen Schauspielerinnen Julia Dilg und Friederike Zörner machen in der Probenarbeit für sie neue und wichtige Erfahrungen. "Ich darf mich nicht nur auf mich und meine Rolle konzentrieren, habe auch eine Verantwortung für meine Mitspieler auf der Bühne", sagt Friederike Zörner. Und Julia Dilg meint: "Jeder Mensch hat doch seine Defizite. Ich habe Probleme, beim Singen die richtigen Töne zu treffen. Meine sehbehinderten Kollegen hören das genau und helfen mir." Das AlienRock-Team ist sich einig: Niemand ist eben perfekt. "Wär auch ganz schrecklich", sagt Dilg.
Kulturwoche 22.-29.8., Eröffnung 22.8., 18.00, Thalia-Theater (S/U Jungfernstieg), Alstertor, Karten zu 25,- ; AlienRock 24.-28.8., 21.00, Fabrik(S/U Altona), Barnerstraße 36 Karten zu 20,-, Ticket-Hotline 01805-257 103, an der Abendkasse und unter www.blindenstiftung.de