Sigmund Freuds liebevolle, oft besorgte Briefe an fünf seiner sechs Söhne und Töchter werden nun in einer sehr umfangreichen Edition vorgelegt.

Berlin. Sigmund Freud war nicht nur der Vater der Psychoanalyse, sondern auch einer großen Kinderschar. Die liebevollen, oft besorgten Briefe an fünf seiner sechs Söhne und Töchter werden jetzt in einer sehr umfangreichen Edition vorgelegt.

Wenn in späteren Zeiten die Biografien bedeutender Persönlichkeiten geschrieben werden, haben es die Verfasser wohl schwerer als ihre Kollegen in der Vergangenheit. Denn persönliche E- Mails werden in der Regel nicht so lange aufbewahrt wie die oft riesigen handschriftlichen Brief-Hinterlassenschaften Prominenter früherer Zeiten. Die Briefe Thomas Manns oder Theodor Fontanes etwa werfen nicht nur ein erhellendes Licht auf die Persönlichkeiten der Verfasser, sondern ergänzen in manchen Fällen sogar ihr Werk. In diese Kategorie lassen sich auch die Briefe des Wiener Psychoanalytikers Sigmund Freud (1856-1939) an seine Kinder einreihen. Im Berliner Aufbau Verlag sind sie jetzt unter dem Titel „Unterdeß halten wir zusammen“ erschienen.

Es gibt keine andere Quelle, die auf den Zusammenhang zwischen der Person Freuds und seinem Werk so nachdrücklich hinweist wie seine Äußerungen als Vater, heißt es in der Einleitung des Buches. Die Edition ist von Michael Schröter sorgfältig bearbeitet. Ergänzt sind wichtige Erläuterungen oder biografische Angaben über die fünf der sechs Kinder, an die die Briefe gerichtet sind (Mathilde, Martin, Oliver, Ernst und Sophie). Die Briefe an die Tochter Anna, die als einziges Kind in die Berufssphäre ihres Vaters eintrat, waren schon separat veröffentlicht worden.

Die Zeitspanne reicht etwa vom Ersten Weltkrieg bzw. kurz davor bis 1938, kurz bevor Freud vor den Nazis aus Österreich flüchtete und nach London emigrierte. Ein Jahr vor seinem Tod schreibt er an seinen Sohn Ernst: „Zwei Aussichten erhalten sich in diesen trüben Zeiten, Euch Alle beisammen zu sehen und – to die in freedom“ (Sterben in Freiheit).

Alle Mitglieder der Familie beisammen zu halten, während Turbulenzen von außen auf sie einstürmen, ist ein Grundtenor der Briefe. Dies war wohl auch das Lebensprinzip dieses liebevollen Patriarchen. Schröter betont in seiner Einleitung, Freud habe von seinen Kindern keine Unterwerfung verlangte, sondern sie sehr wohl als selbstständige Persönlichkeiten akzeptiert. Mit seinen Ratschlägen war er gleichwohl nie zurückhaltend. Dem Herausgeber ist wichtig, dass die Briefe von einer tiefen, irdisch-handfesten Humanität des Verfassers zeugen – das mache sie zu einem lohnenden Dokument.

Obwohl für Freud die Familie offensichtlich einen großen Stellenwert besaß neben Beruf und Wissenschaft, stand er seinen Kindern im Alltag nicht zur Verfügung, wie Schröter anmerkt. In Notsituationen und bei alltäglichen Sorgen stand er ihnen dennoch zur Seite. Der Vater half mit Rat und Tat – und finanziell. In seinem Testament bedachte er allerdings nur seine Frau, und die künftigen Tantiemen an seinem Werk überschrieb er den Enkeln.

Es ist eine ungewöhnlich umfangreiche Brief-Edition. So manches Mal beschleicht den Leser das Gefühl, dass viele Briefe nur für den damaligen Familienalltag interessant waren und der Korrespondenz unzähliger anonymer Familien ähneln: „Mama hat die Absicht, nächste Woche auf 14 Tage nach Hamburg zu fahren“, „Freu mich sehr, dass Dir das Zimmer gefällt“. Berührend ist immer wieder, wie stark sich der Vater um die Sorgen und Nöte seiner Kinder kümmert und sofort Hilfe anbietet: „Wirklich ein überflüssiger Brief! Warum hast Du Dich nicht einfach in die Bahn gesetzt, um hierher zu kommen?“

Zwischendurch gibt es gesellschaftspsychologische Anmerkungen wie „ganz allgemein halten sich die Frauen besser als die Männer“. Quasi eine fachmännische Diagnose liefert der Vater zur scheiternden Ehe eines Sohnes und ergreift dabei kräftig Partei: „Sie ist nicht nur bösartig und meschugge, sondern auch im ärztlichen Sinn verrückt.“