Hamburg. Mittels elektroakustischer Analyse erkundeten Klangforscher in den 70er-Jahren das Spektrum jedes Tons und die feinen Veränderungen im Entstehen, Übergehen, Vergehen; in Anspielung auf den Reise-Charakter ihrer Unternehmung nannte sich eine 1973 in Paris gegründete Komponistengruppe "L'itinéraire", Reiseroute. Vertreter und Nachfolger dieser Schule standen jetzt in der Reihe "das neue werk" auf dem Programm des NDR Sinfonieorchesters.
Gérard Grisey, Kopf der "Spektralisten", beschäftigte sich in "Le temps et l'écume" mit dem Einfluss von Zeit auf die Wahrnehmung. Seine DX7-Synthesizer aus den 80ern, ein heute rares Kulturgut, durchzogen die Textur wie Pilzhyphen das Brot. Der zackig dirigierende Dima Slobodeniouk hatte im Moderatorengespräch nichts ausgesprochen "Finnisches" in Magnus Lindbergs "EXPO" ausgemacht, einem virtuos-voluminösen Stück, das der Finne einst zur Saisoneröffnung für die New Yorker Philharmoniker schrieb. Tatsächlich erinnerten die schwelgenden Streicherpassagen sehr an Sibelius. Lindberg lässt stellenweise an Filmmusik denken, wenn Errol Flynn blechlastig befeuert das feindliche Schiff entert. Die weniger konventionell gesetzten, akzentreichen "Palimpsests" des einstigen Wunderkinds George Benjamin machten am meisten Freude.