Benoît Jacquots Historiendrama “Leb wohl, meine Königin!“ mit Diane Kruger eröffnet die 62. Berlinale – und unterhält mit gepflegter Langeweile.
Berlin. Seit gestern ist es mit der Normalität rund um den Potsdamer Platz vorbei. Die Berlinale hat begonnen , da wundert einen gar nichts mehr. Auch nicht, wenn tief vermummte Gestalten morgens um 9 Uhr an einer der zugigsten Ecken Berlins wie ein Rudel Mumien hinter einem Absperrgitter stehen. Hier müssen schließlich eineinhalb Stunden später die Stars vorbeikommen, wenn sie zur Pressekonferenz wollen. Für Autogrammjäger also der ideale Platz, um zu warten.
Auch auf der Leinwand ist das Festivalfieber ausgebrochen. Den Auftakt machte gestern Benoît Jacquots Drama "Les Adieux à la Reine" ("Leb wohl, meine Königin!"). Er erzählt von den letzten Tagen der Regentschaft Ludwigs XVI. In Paris hat das Volk schon die Bastille erstürmt, die Revolution hat begonnen, aber in Versailles tun der Herrscher und seine Frau, Königin Marie Antoinette (Diane Kruger), als ginge sie das alles nichts an. Als sich die Ereignisse überschlagen und selbst die Günstlinge sich absetzen, will auch die Königin fliehen - ihr Mann allerdings nicht.
Für lange Zeit will auch Sidonie (Léa Seydoux), die junge Vorleserin Marie Antoinettes, nicht an das Ende der königlichen Ära glauben. Aber dann schickt Marie ihre Bedienstete auf eine Reise: Sie soll die Gräfin Polignac (Virginie Ledoyen) begleiten, für die die Monarchin mehr als lediglich freundschaftliche Gefühle zeigt und die deshalb in die Schweiz ausreisen soll. Auf Anweisung der Königin tauschen die Adlige und Sidonie die Rollen ...
Mit seinem Film wagt Jacquot einen völlig neuen Blick auf ein Ereignis der Weltgeschichte. Marie Antoinettes Schicksal begreift er als Geschichte einer fiktiven Dienerin - ein geschickter Ansatz, zumal am Ende Adlige und Bedienstete die Rollen tauschen. Das Machtgefüge kehrt sich um. "Leb wohl, meine Königin!" schwelgt in großen Tableaus, mit edler Ausstattung und opulenten Kostümen. Leider entwickelt die Handlung dabei zu wenig dramatische Fallhöhe. Das Erzähltempo ist niedrig; schöne Menschen in schönen Roben vor schönen Hintergründen führen dann doch zu einer Überdosis gepflegter Langeweile. Insbesondere wenn man diesen Film mit Sofia Coppolas "Marie Antoinette" vergleicht, in dem Kirsten Dunst die Hauptrolle spielte. An den Hauptdarstellerinnen liegt das aber ganz gewiss nicht.
Regisseur Jacquot outete sich anschließend als Fan des Endes von Dynastien. Da war sie endlich, die Parallele zu aktuellen politischen Ereignissen wie dem Arabischen Frühling, nach der die Filmemacher immer wieder gefragt wurden. Auch bei der Vorstellung der diesjährigen Jury war diese Frage bereits Thema. Präsident Mike Leigh präsentierte seine "Kameraden" als ein Staraufgebot, das jeden Regisseur neidisch und die Autogrammjäger draußen vor der Tür glücklich machen müsste: Anton Corbijn, Barbara Sukowa, François Ozon, Charlotte Gainsbourg, Jake Gyllenhaal, Berlinale-Vorjahressieger Asghar Farhadi und der algerische Autor Boualem Sansal.
Leigh lobte das Festival für seinen Geist, seine Informalität und Lebensfreude. "Hier gibt es das Weltkino, und der Einfluss Hollywoods darauf schwächt sich ab", sagte der Regisseur. "Als Europäer macht mich das optimistisch." Hört, hört: ein Brite, der sich in diesen Zeiten zu Europa bekennt. Und nicht nur das: In der Schule habe er Deutsch gelernt und könne immer noch Sätze wie: "Alles ist schneebedeckt." Über Filme unterhält er sich aber lieber auf Englisch.
Für den indischen Superstar Shah Rukh Khan war es offenbar zu viel der weißen Pracht in der Hauptstadt. Er sagte seine Teilnahme ab.
Unterdessen ist Filmproduzent Artur Brauner am Donnerstag zum Ehrenmitglied der Produzentenallianz ernannt worden. Der 93-Jährige ist der erste, der diese Ehrung der Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen erfährt. Brauner hat mit seiner 1946 gegründeten CCC-Film GmbH (Central Cinema Company) mehr als 300 Filme produziert. Er wurde in den 50er-Jahren zum erfolgreichsten deutschen Produzenten. In den 60er-Jahren waren die Karl-May- und Edgar-Wallace-Filme trotz der vom Fernsehen verursachten Kinokrise Kassenknüller. Brauner hat zugleich die nationalsozialistische Vergangenheit thematisiert wie in "Hitlerjunge Salomon“ (1990) oder zuletzt "Wunderkinder".