Seine Werke sind Zeugnisse der Selbstüberwindung: Deichtorhallen-Chef Dirk Luckow gratuliert Gerhard Richter zu seinem 80. Geburtstag.
Hamburg. Unbarmherzig und mit großer Konsequenz hat Gerhard Richter, der 1961 aus Dresden in den Westen kam und bei K. O. Götz in Düsseldorf studierte, in den 60er-Jahren die Malerei vom Zwang des Gestaltens befreit. Er unterwarf sie einem, wie er es nannte, "Reinigungsprozess".
+++ 12 Millionen Euro für Richters "Kerze" +++
+++ Gerhard Richter in Hamburg +++
Unter seinen frühen Bildern findet sich eines, das vieles vorweggenommen hat. Es ist die Nr. 1 des Werkverzeichnisses und das erste moderne Bild Richters. Er malt einen einfachen Tisch, um dann dieses zentrale Motiv in einem destruktiven Akt so weit wieder auszuwischen, dass genau die Verzweiflung des Künstlers und das Gefühl der Unzulänglichkeit im Bild zum Bild werden. Die Arbeit antizipierte verschiedene Verfahren und Bildtypen Richters - das Verwischen, die Pinselschlieren, die Motivzerstörung.
Richters Bilder sind immer Zeugnisse der Selbstüberwindung und des Abgründigen. Nichts soll vorgeführt werden, nichts abgeklärt wirken, nichts harmlos erscheinen. Selbst bei seinen späteren abstrakten Werken mit pastosem Farbauftrag wird die Oberfläche wieder aufgerissen, zerstört, um sie zu öffnen. Zugleich ist da ein scharfer Humor zu spüren. Kaum erscheint ein Motiv, so verschwindet es auch schon wieder.
Mit der gleichen kompromisslosen Haltung nähert sich Richter politischen oder religiösen Themen. Dass das narrative Bild leichter ideologisch zu missbrauchen ist als das streng abstrakte, dieses Wissen begleitet Richters gesamtes Werk. Sein berühmter RAF-Zyklus, der heute im MoMA in New York zu sehen ist, handelt nicht von Terror, sondern vom Tod in Stammheim, von Abschied und Klage. Selbstverständlich setzen die Bilder ein politisches Fragezeichen, sind sie Sympathiebekundung und distanzierte Historienmalerei zugleich.
Das Beeindruckende an Richters Werken ist, dass man die brennende Energie und die Empathie dieses großen Künstlers spürt, seinen Zorn gegen alles, was in der Welt schiefläuft, seine harten Reaktionen auf die Gesellschaft allgemein und auch auf den Kunstbetrieb, seine Betroffenheit und seinen grundsätzlichen Zweifel an der Welt, so wie sie ist. Es ist eine fast mönchische Haltung zu den Dingen, die der Maler auch in seinen Interviews verfolgt, wenn er sich beispielsweise darüber äußert, dass seine Bilder klüger seien als er, dass die Kunst von etwas Größerem handle, was ja gerade ihr Geheimnis sei. Vielleicht hat es mit dieser Distanz sich selbst gegenüber zu tun, dass Richter in seinen Bildern immer das zuvor auf "öffentlichen" Fotos Dargestellte darstellt, scheinbar meinungslos und doch moralisch, zuweilen hochpolitisch.
Das über den politischen Charakter hinaus Irritierende seiner Werke ist das schwer auflösbare Puzzle aus Gegenstandsdarstellung und Abstraktion in ihnen. Richter hat einen tief sitzenden Ehrgeiz, sich mit anderen Künstlern zu messen, und das beginnt beim antiken Künstlerwettstreit, der sich darum dreht, welcher von zwei Malern in seinen Bildern besser täuscht und damit seinen Kollegen übertrifft. Richters phänomenale Vorhangbilder, die die eigene optische Wahrnehmung so stören, dass einem fast schwindelig wird, erinnern daran.
Gerhard Richter geht gegen eine vereinfachende Vorstellung von Malerei an. Seine Bilder ringen mit komplexen Strukturen, um das Täuschungsprinzip in der Malerei im Moment der Vorführung zu zerstören. Dabei gelingt ihm eine Gratwanderung: Die Bildfläche bleibt immer so bedeutend wie das Dargestellte. Sein Farbauftrag hat immer so viel Körper wie nötig, um uns die Fläche bewusst zu machen. Die kräftigen Pinselstriche, Verschlingungen, zerrissenen Bewegungsspuren und das Ineinanderwischen des Pinselauftrags vollenden jeweils die Oberfläche.
Neben aller überwältigenden Schönheit und Meisterschaft im Formalen stehen Richters Bilder für ein tägliches Sichverschleißen im Kampf um Freiheit, dafür, sich niemals auf künstlerischen Errungenschaften auszuruhen, sondern in einer Art Überlebensstrategie weiterzusuchen, in der Auseinandersetzung mit dem Zynismus des Alltags hellwach zu bleiben. Richter ist nie akademisch geworden, hat Genre für Genre der Malerei abgearbeitet. Zugleich blieb er sich in seiner Pointierung der Oberfläche treu.
Die Deichtorhallen wären zweifellos ein idealer Ort für eine Ausstellung von Gerhard Richter. Die Tageslichthalle gleicht einer Kathedrale der Kunst, sie bietet die Dimensionen und die Atmosphäre, um die großen Formate, etwa die pastosen, mit der Rakel vollendeten abstrakten Bilder mit ihrem gewaltigen Farbenreichtum, aber auch die schimmernden Reflexe der niemals gleichen Grau-Bilder perfekt zu inszenieren. Richters Kunst wird vom 12. Februar an in einer Retrospektive in der Berliner Nationalgalerie gezeigt. Am heutigen Tag wird Gerhard Richter 80. In Gedanken schenken die Deichtorhallen Hamburg dem großen Maler eine der nächsten Ausstellungen und gratulieren herzlich.
Dr. Dirk Luckow, 53, ist Kunsthistoriker und Kurator. Seit dem 1. Oktober 2009 leitet er die Deichtorhallen Hamburg.