Die Freie Akademie der Künste will sich inhaltlich und in der Stadt neu positionieren. Konzentration auf die Grundfragen der Kunst.
Hamburg. An der Oberfläche zu verweilen ist erklärtermaßen nicht Ulrich Greiners Absicht. Und doch verrät seit einiger Zeit ausgerechnet die veränderte Innenfassade der Freien Akademie der Künste schon zur Begrüßung den Wunsch nach Erneuerung. Seit dem letzten Sommer ist der Literaturkritiker und "Zeit"-Autor Greiner Akademiepräsident in Hamburg, Nachfolger des Malers Armin Sandig, der dieses Amt mehr als 30 Jahre ausfüllte. Wer zuletzt eine Veranstaltung besuchte, konnte gar nicht umhin, die Veränderung zu bemerken: Das rigoros von den alten Plakaten befreite Treppenhaus der Akademie, zu dem jetzt ein roter Teppich führt, ist frisch gestrichen. Weiße Farbe statt der von Sandigs Lebensgefährtin Annette Bätjer so charakteristisch gezeichneten Köpfe jener, die bislang zu Vorträgen, Diskussionen, Lesungen oder Ausstellungen einluden.
Feridun Zaimoglus Antlitz klebt ein wenig düster gephotoshopt an der oberen Eingangstür, Akademiemitglied und Plakatkünstler Holger Matthies feilt an einem neuen Plakatkonzept. Noch eine Oberfläche, der Werbung vorbehalten. Provozierender soll es werden, will Greiner, weniger aufgeräumt, "ein völlig neuer Auftritt".
+++ Freie Akademie der Künste wählt Ulrich Greiner zum Präsidenten +++
"Mein Hauptziel ist es, inhaltlich zu renovieren", sagt er. Fast alle Sektionsvorsitzenden sind neu gewählt, Gesprächsreihen angeschoben, die Akademie soll "mehr in der Stadt verankert" werden, und es gibt Überlegungen, das Sitzungszimmer in eine Lounge umzuwandeln, sodass es nach den Veranstaltungen Austausch zwischen den Besuchern und den Mitgliedern geben kann.
Denn die Mitglieder, sie sind nach wie vor das Pfund, mit dem diese kleinste unter den deutschen Akademien wuchern kann. Große Namen sind darunter: Literaturnobelpreisträger Günter Grass (Lübeck ist nah), Feridun Zaimoglu (auch Kiel ist nicht weit), natürlich der Hamburger Schriftsteller Siegfried Lenz und Publizist Hellmuth Karasek, der Regisseur Jürgen Flimm und der Architekt Meinhard von Gerkan, die Autoren Juli Zeh und Daniel Kehlmann, die Schauspieler Christian Quadflieg, Nicole Heesters, Peter Striebeck und Fritzi Haberlandt, die Filmemacher Fatih Akin, Hark Bohm und Detlev Buck - neben vielen, vielen anderen.
Ulrich Greiner möchte sich auf die "Grundfragen der Künste" konzentrieren, auf Ästhetisches. In einer Reihe mit dem angenehm bodenständigen Arbeitstitel "Wie kommt die Kunst in den Kopf" werden sich die Schriftsteller Martin Mosebach und Durs Grünbein mit dem Thema Inspiration beschäftigen. "Worüber reden wir, wenn wir von Literatur reden?", fragt Greiner außerdem, der das natürlich locker selbst beantworten könnte, auch im offiziellen Ruhestand geht er zwei bis drei Tage in der Woche in sein Feuilleton-Büro bei der "Zeit". Und auch, wenn man darüber schmunzeln kann, wenn im Präsidentenamt ein 65-Jähriger auf einen 82-Jährigen folgt und anschließend in eindringlichem Tonfall feststellt: "Wir müssen uns verjüngen!" - Recht hat er natürlich, und gemeint ist die Zuwendung zu einem Publikum, "das im Leben steht", wie Greiner selbst es formuliert. "Es ist mehr zu tun, als ich dachte."
Auch Betteln gehöre nun zu seinem Handwerk, bemerkt er süffisant. Die Hamburger Akademie wird zwar von der Kulturbehörde institutionell unterstützt, ist aber im Vergleich mit den anderen deutschen Akademien - insbesondere der in Berlin, die jährlich mehrere Millionen Euro Zuwendungen erhält - bescheiden aufgestellt. Nur eineinhalb feste Stellen gibt es, einen Tarifausgleich nicht. Von 189 000 Euro (seit 1999 wurde der Betrag nicht aufgestockt) gehen annähernd 60 000 direkt zurück an den Vermieter, die Sprinkenhof AG, während die anderen großen Akademien (Dresden, Berlin, München) ein eigenes Haus haben. Das strukturelle Defizit beträgt 40 000 Euro. Dieser Betrag muss erst eingeworben werden - bevor Geld für Veranstaltungen ausgegeben werden kann.
Nun gibt es Überlegungen, eine Stiftung zu gründen. "Ich war nie in der Position, jemanden um etwas bitten zu müssen. Aber es ist interessant", sagt Greiner, in Frankfurt aufgewachsen, und klingt sehr hanseatisch dabei. Überhaupt wolle er nicht jammern: "Alle Akademien sind Feudalgründungen, die Hamburger Akademie aber ist eine Bürgergründung, um die Freiheit der Kunst gegen den Staat zu verteidigen." Dass die Subvention jedes Jahr neu beantragt werden muss, kann man also anstrengend finden. Oder genau richtig so: "Anstatt darüber zu klagen, nehme ich das lieber als USP ", lächelt Greiner . "Es ist unser Alleinstellungsmerkmal." Arm, aber sexy? Was für eine ganze Hauptstadt funktioniert, kann für die kleine Hamburger Akademie als trotziges Motto doch so verkehrt nicht sein.
Freie Akademie der Künste Klosterwall 23, Nächste Veranstaltung vor Ort: Mittwoch, 8.2., 19 Uhr: "Wozu noch Kunst?", Christian Demand im Gespräch mit Hanno Rauterberg, 8,-/5,-