Düster-Pop mit Erfolgsgarantie: Unheilig lud zur Audienz auf der Trabrennbahn und 10.000 Menschen nahmen das Angebot gerne an.

Hamburg. Auch, wenn die Monarchie in Deutschland schon vor fast 100 Jahren abgeschafft wurde: Gekrönte, geadelte, mit allerlei überflüssigem Zierrat im Namen versehene Personen scheinen auf viele immer noch einen unwiderstehlichen Reiz auszuüben. Seien es Heiratstermine des britischen Hoch- oder ministeriale Bemühungen des bayerischen Landadels, Titel kommen meist gut an.

Vielleicht ist das ja der Grund für den monströsen Erfolg, den "der Graf" mit seinem Düsterpop-Projekt "Unheilig" einfährt.

Zu seinem Open-Air-Konzert auf der Trabrennbahn Bahrenfeld am Sonntag haben sich jedenfalls deutlich mehr als 10.000 Menschen eingefunden. Die beglückt der Graf nicht nur mit tausenderlei Merchandisingkleinkram, sogar die neue Familienkutsche kann mit standesgemäßem Ornat beflaggt werden. Das am Eingang zum Gelände aufgestellte Volkswagen-Sondermodell „Unheilig“ verknüpft Popadel und Volkesnähe jedenfalls auf das Allerschönste.

Ob das „unheilige Kinderland“, in dem man die lieben Kleinen zwecks Bespaßung abgeben kann, hingegen eine Art atheistischer Gegenentwurf zum katholischen Weltjugendtag sein soll, sei einmal dahingestellt.

Eines jedoch ist klar: Ein Unheilig-Konzert ist ein Event für die ganze Familie. Es gibt einen abgesperrten Bereich für Eltern und ihre Kinder, extra Applaus für Familien, die komplett zu Unheilig gepilgert sind. Bevor es losgeht, sorgt eine Sechsjährige auf der Bühne für Stimmung, dann tönt Hildegard Knef aus den Boxen: „Für mich soll's rote Rosen regnen“. Einen Countdown später ist es dann endlich soweit. Der Graf eröffnet seine Audienz mit „Das Meer“ und „Seenot“.

Langsame, entspannte Klänge, bevor es mit „Schenk mir ein Wunder“ und „Sternbild“ deutlich ruppiger zur Sache geht, die Stromgitarren sägen und der Bass pumpt. Auch, wenn er es nicht gerne hört, in härteren Stücken wie „Ich gehöre mir“, „Lampenfieber“ und „Abwärts“ klingt Der Graf mehr als nur ein wenig wie Till Lindemann, der Frontmann der Brachialrocker Rammstein. Was große Gesten und gerollte „rrrrr“ angeht, kann er sich jedenfalls ohne weiteres mit ihm messen.

Doch wo Rammstein Blut und Schweiß bemüht, hat sich Unheilig insgesamt doch eher auf die Tränen spezialisiert. Das zeigt sich nicht nur bei der Erfolgssingle „Geboren, um zu leben“ und anderen Sinnspruch-Liedern. Auch in den zwei eingestreuten neuen Titeln, die im nächsten Jahr auf Platte gepresst werden sollen, drückt der Graf kräftig auf die Pathos-Tube. „Ein guter Weg“ und „Brenne auf“ brillieren mit Zeilen wie „Wenn das Leben wehtut, bist du für mich stark“ und „Ich will den Himmel sehen und unter Sternen stehen, dann fühl' ich mich nicht mehr allein“. Zum Ausgleich gibt ihro Gnaden zwischendurch den Entertainer, befragt das Publikum nach lokalen Sehenswürdigkeiten, schäkert mit der Damenwelt in der ersten Reihe und animiert seine Fans zu lustigen Turnübungen: „Jetzt geht ihr alle in die Hocke. Und auf 'Los!' springen wir alle hoch!“

Der Musikdampfer pflügt sich unerbittlich durch den Abend: „Große Freiheit“, „Unter deiner Flagge“, zu guter Letzt „Mein Stern“. Dann ist es nach zwei Stunden und der Ermahnung "Fahrt vorsichtig" vorbei. Der Graf hinterlässt hochgestimmt nach Hause strebende Untertanen, die sich jetzt schon auf das nächste Mal freuen, wenn Durchlaucht zur Audienz lädt.