Der Maler Sigmar Polke ist tot. Die Kunsthallen-Ausstellung “Wir Kleinbürger!“, die im Januar zu Ende ging, wurde für ihn zum Abschiedsgeschenk
Hamburg. Menschen drängen sich zwischen vollen Supermarktregalen. Grell, schreiend, verwirrend und von knalliger Buntheit ist Sigmar Polkes 1976 entstandene großformatige Papiercollage mit dem Titel "Supermarkets". Noch bis Mitte Januar war dieses Bild in der Galerie der Gegenwart zu sehen, im dritten und abschließenden Teil des Zyklus "Wir Kleinbürger!" mit zahlreichen Werken von Polke aus den 1970er-Jahren.
Die Schau, die die Galerie der Gegenwart unter den Titeln "Clique", "Pop" und "Politik" zehn Monate lang gezeigt hat, wurde von der deutschen Sektion des Internationalen Kunstkritiker-Verbandes zur "Ausstellung des Jahres" gekürt. Für Polke, der die Arbeit der Kuratoren Dorothee Böhm und Dietmar Rübel trotz seiner schweren Krankheit nach Kräften unterstützt hatte, war sie eine Begegnung mit der eigenen künstlerischen Biografie. Jetzt ist diese letzte große Ausstellung für ihn zum Abschiedsgeschenk geworden: In der Nacht zum Freitag starb Sigmar Polke im Alter von 69 Jahren. Er erlag in seinem Kölner Haus einer schweren Krebserkrankung.
Sigmar Polke war ein weltbekannter Künstler, einer der teuersten dazu, zugleich aber ein scheuer Mensch. Anders als Künstlerkollegen wie Jörg Immendorff machte er nie mit Skandalen und Exzessen Schlagzeilen, sondern lebte zurückgezogen und bemühte sich, sein privates Umfeld vor der Öffentlichkeit zu schützen. Polke steht für keinen bestimmten Stil, dafür aber für eine Fülle unterschiedlicher, manchmal gar gegensätzlicher Ausdrucksformen und eine nie versiegende Experimentierfreude: Es bediente sich der Versatzstücke der Konsumgesellschaft, arbeitete mit Motiven aus der Werbung, aus Comics, aus Filmen oder politischen Kampagnen. Um sie zu neuen Bildern zusammenzufügen, die oft mit ironischer Distanz das Lebensgefühl einer Zeit und die Identität einer Gesellschaft kommentieren.
Wie Gerhard Richter oder Georg Baselitz stammte auch Polke aus dem Osten. Geboren wurde er 1941 im niederschlesischen Oels. Im Frühjahr 1945 floh die Familie nach Thüringen, verließ die DDR aber 1953, zunächst nach West-Berlin, später nach Willich bei Mönchengladbach.
Polke ging bei einem Glasmaler in die Lehre, brach sie aber ab, um anschließend an der Düsseldorfer Kunstakademie ein Studium zu absolvieren, auch bei Joseph Beuys. Noch als Student kreierte er 1963 gemeinsam mit Gerhard Richter und Konrad Lueg den "Kapitalistischen Realismus", ein ironisches Pendant zum in der DDR staatsoffiziellen "Sozialistischen Realismus". Den Beginn seiner künstlerischen Karriere markieren Bilder, die aus Rasterpunkten zusammengesetzt sind. Dabei experimentierte er mit Stoffen und benutzte auch Plastikfolien als Bildträger. Polke reiste durch Asien, Lateinamerika und Australien, interessierte sich für Mythen und hielt mit der Kamera Motive fest, die er später in seine Arbeiten integrierte.
Polke experimentierte mit fotografischen Techniken, mit Lacken, Kunstharzen, Eisenglimmer, benutzte später aber auch Kopiergeräte und beschäftigte sich mit digitalen Techniken.
In den Jahren 1970/71 war er Gastdozent an der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HFBK), wo er von 1975 bis 1992 als Professor lehrte. 1972, 1977 und 1982 nahm er an der Kasseler Documenta teil, 1986 vertrat er die Bundesrepublik auf der Biennale in Venedig. Für seine Bilder, deren wärmeempfindliche Farben sich je nach Raumtemperatur änderten, wurde er mit dem "Goldenen Löwen" für die beste künstlerische Leistung geehrt.
Spätestens seit den 80er-Jahren galt Polke als Star der internationalen Kunstszene. Er erhielt zahllose Auszeichnungen und seine Werke erzielten international Millionenpreise. Im "Kunstkompass", den die Zeitschrift "Capital" jährlich veröffentlicht, liegt er 2009 in der Liste der weltweit gefragtesten Künstler hinter Georg Baselitz, Gerhard Richter und Bruce Nauman auf Platz vier. Ähnlich wie Gerhard Richter, der 2007 ein Fenster für den Kölner Dom schuf, erhielt auch Sigmar Polke am Ende seiner künstlerischen Laufbahn einen kirchlichen Großauftrag: Im November vergangenen Jahres wurden zwölf von ihm für das Zürcher Großmünster entworfene Fenster der Öffentlichkeit übergeben. Damit kehrte Polke zu seinen beruflichen Anfängen als Glasmaler zurück. Er schuf teils ornamentale, teils figurative Glasbilder, für die er traditionelle Techniken wiederbelebte. Besonders gerühmt wird das Farbenspiel seiner fünf Achatfenster, für die er statt Gläser flach geschliffene Scheiben von Halbedelsteinen verwendete - eine Technik, die bereits im frühchristlichen Kirchen zur Anwendung gekommen war.