Das Google-Orakel wirft mir auf die Krisenfrage "Und was schreibe ich heute?" 2,34 Millionen Antworten aus. Schreibe über dein Lieblingslied oder darüber, dass in Island 1800 Bücher jährlich erscheinen, macht auf 166 Einwohner je einen Schriftsteller. Deprimierend, diese Kreativität. Auf Seite zwei findet sich der Vorschlag: "Schreibe heute einen Brief und lasse ihn in 100 Jahren ankommen!"
Nanu? Serviceoffensive der Post? Hinter dem an Cecila Aherns Schluchzroman erinnernden Tipp - Verstorbener hinterlässt Witwe Liebesbriefe - verbirgt sich die im landschaftlich reizvollen Nordharz gelegene Firma Late:Mail. Sie lagert einen handschriftlichen Brief so lange, wie der Absender es wünscht - etwa ein Jahr für 19 Euro, zehn für 190, hundert Jahre für 1900 - und liefert ihn zum gewünschten Datum aus. Zum Beispiel zum 18. Geburtstag an den gerade geschlüpften Nachwuchs. Oder zum 25. Hochzeitstag (sofern das nicht gerade äußerst unpassend ist). Und für Hinterbliebene sei es quasi wie ein Gruß "aus dem Urlaub" (Alles so schön ruhig hier, oder wie?).
Ist das nun makaber, oder ist es romantisch? Und an wen würde ich Briefe schreiben, die in zehn, 30, in 40 Jahren zu öffnen seien? Vielleicht an die Bürgermeisterin der Zukunft. Wie das alles so 2010 war, hier in der Stadt, was wir uns für Hamburg erträumten. An meine Freundin. Wir säßen in unserer Eckes-Edelkirsch-WG, sie mit blauem, ich mit rosa gelocktem Haar (oder umgekehrt?), und würden über die Zeit reden, als wir noch eigene Haare hatten.
Und einen Brief an mich selbst. Mit all den Sehnsüchten, den vertrösteten Absichten, all den dummen Wenn-Danns: "Liebe Nina, die Welt aus Wörtern macht nicht satt; am Ende hungerst du nur nach Ungetanem."
Menschen aus Papier Lesung mit Salvador Plascencia, Do 24.6., 19.00, Die Fabrik im Hinterhof/Gängeviertel (U Gänsemarkt), Valentinskamp 34a, Eintritt 9,-; www.literarischer-hafenclub.de