Als Road-Movie, brutales Getto-Drama und zarte Liebesgeschichte hat “Sin Nombre“ viele Facetten.
Das Ausmaß der Verzweiflung ist groß. So groß, dass Menschen wochenlang auf Zugdächern kauern. Immer neuen Gefahren ausgesetzt, aber getrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben, fern der allgegenwärtigen Armut in ihrer mittelamerikanischen Heimat.
Sayra (Paulina Gaitan) ist eine von ihnen. Jung, hübsch und auf berührende Art unschuldig, fast naiv. Auf der strapaziösen Reise gen USA gerät die Honduranerin in Lebensgefahr, als ihre Gruppe von drei Mitgliedern der Mara, einer extrem gewalttätigen Gang, ausgeraubt wird. Doch dann rettet ihr Casper (Edgar Flores), eigentlich Teil des Überfallkommandos, mit einem Machetenhieb das Leben und tötet den lokalen Mara-Boss Lil' Mago (Tenoch Huerta Mejia). Eine Tat, durch die er vogelfrei wird. Und so lautet der Text einer wenig später eingehenden SMS schlicht: "Du bist tot."
Vor wenigen Wochen kam mit "La vida loca" eine Dokumentation über die Mara, die mit geschätzten 100 000 Mitgliedern gefährlichste Gang der Welt, in die Kinos. Jetzt folgt mit "Sin Nombre" ein Spielfilm zum Thema, der an Meisterwerke wie "Amores Perros" und "City Of God" erinnert. Allerdings sind die Akzente deutlich verschoben, denn das Kinodebüt von Cary Joji Fukunaga, ist sowohl brutales Getto-Drama als auch prächtig bebildertes Road Movie und sogar zarte Liebesgeschichte.
Wie dicht hier ganz unterschiedliche Welten beisammenliegen, wird in zwei fast identischen Szenen deutlich. Einmal werfen Plantagenarbeiter den hungrigen Güterwaggon-Emigranten Orangen und Äpfel zu - eine unverhoffte Geste der Solidarität. Wenig später, an einem anderen Ort entlang der Bahnstrecke, sind es faustgroße Steine, die auf die Schutzlosen niederprasseln.
Ähnlich disparat die Situation in der Welt der Mara. Hier trägt der komplett tätowierte Gang-Führer liebevoll sein Baby auf dem Arm, während er mitleidlos einen Mordbefehl erteilt. Hier muss sich zunächst gnadenlos zusammenschlagen lassen, wer Mitglied der "Familie" werden will. Allein, so die Botschaft von "Sin Nombre", ist kein Überleben möglich. Jedenfalls nicht in einer Welt, die von Armut und Perspektivlosigkeit beherrscht wird.
++++- Sin Nombre Mexiko/USA 2009, 95 Minuten, ab 16 Jahren, R: Cary Joji Fukunaga, D: Paulina Gaitan, Edgar Flores, Kristyan Ferrer, täglich im Abaton, UCI Mundsburg, Zeise; www.sinnombre-derfilm.de