Heimlich hat sich der Wahlhamburger zum Sänger und Songwriter der Stunde gemausert. Grübeln gewinnt - das könnte sein Motto sein.
Hamburg. Es gibt diese typischen Gisbert-Momente. Szene eins: Gisbert, der 2008 mit seinem Debütalbum einen Überraschungserfolg hinlegte, bekommt den Hamburger Musikpreises HHans verliehen. Es ist Herbst. Die Jacke gegen Sauwetter hat er einfach unter den Arm geklemmt, als er auf die Bühne des Gruenspan steigt. Das blonde Haar wie immer mit leichtem Eigenleben, aber nicht überambitioniert auf Raus-aus-dem-Bett gebürstet. Show-Typen sehen anders aus. Offensive Selbstvermarkter auch.
Szene zwei: Gisbert gibt ein Konzert im Computer-Shop in der City. Dem mit dem Apfel. Seine Anhänger lagern zwischen formschönen Geräten, an Verkaufsregalen. Passanten schauen auf einen jungen Mann, der etwas abgeschlagen wirkt. Der die Traurig- und Müdigkeit in seinen Songs jedoch mit Hoffnung und Ironie zu verbinden weiß. Ein Seelenstöberer, der innen forscht, statt außen zu polieren. Deplaziert wirkt er zwischen der glänzenden Technik.
Introvertiert gibt sich der Musiker auch auf dem Cover zu seiner zweiten Platte, die Freitag erscheint: Eine Illustration seiner selbst, wie er auf seine Gitarre blickt. Eher Singer-Songwriter-Veteran als Newcomer. "Hurra! Hurra! So nicht.", heißt der Titel, der vortrefflich die Stimmung des Albums klammert, das Pendeln zwischen Fern- und Heimweh, Glück und Zweifel. Gewinnertypen inszenieren sich anders. Und doch ist er einer.
Rund 14 000-mal verkaufte sich sein Erstling, was angesichts schwindender CD-Absätze beachtlich ist. Der "Rolling Stone" veröffentlichte in seiner Mai-Ausgabe 2009 zudem eine CD mit Live-Mitschnitt aus den Fliegenden Bauten. Seine "Plattentaufe" in der großen Halle auf Kampnagel am 25. April ist längst ausverkauft. Und auch wenn Gisbert in seinem neuen Song "Morsches Holz" von der "Angst vor der nächsten Telefonrechnung, dem Zahnarzt, der Liebe oder dem Tod" singt, braucht er zumindest Ersteres nicht mehr zu fürchten. "Ich verdiene genug Geld, um von der Musik zu leben. Aber es ist nicht so viel."
Wenn in der Hamburger Szene von Gisbert die Rede ist, weiß jeder, wer gemeint ist. Ein Kollege nannte ihn unlängst kurz "Gis", was besonders schön klingt wegen des gleichnamigen Tons. Wobei der vollständige Familienname des Wahlhamburgers ungleich markanter Gisbert zu Knyphausen lautet. Alter hessischer Adel.
Von Dünkel ist er aber ebenso weit entfernt wie vom Superstar-Gestus. Was sich im Gespräch beweist, in dem es sie ebenfalls gibt, die Gisbert-Momente. Dieses zeitverzögerte Durchstarten, wenn er nach einer Pause noch eine Überlegung hinterhernuschelt. "Ich denk einfach sehr viel nach", sagt Gisbert. "Und das nervt."
Auch bei der Produktion der zweiten Platte blieb der Grübel-Modus angeschaltet. Aufgenommen hat Gisbert mit Band auf der Fleetinsel im Electric Avenue Studio von Tobias Levin, der schon am Sound von Tocotronic feilte. "Ich wollte das schnell hinter mir haben, damit es nicht noch ein größeres Gebilde in meinem Hirn wird", sagt Gisbert. Vor dem ersten Album sei "nach und nach ein Song gekommen", ohne dass er gewusst habe, ob er das jemals jemandem vorspielt - "außer den engsten Freunden". Jetzt sei die Arbeit "schon anders" gewesen. Seine Fangemeinde trage er jetzt mit sich beim Schreiben. "Das macht's nicht einfacher."
Auch nicht einfacher machen es ihm die steten Reinhard-Mey-Vergleiche. Das erste Stück "Hey" wirkt mit seinen laut geschmetterten Parts wie ein Abwehrversuch gegenüber der reinen Liedermacher-Rolle. Obwohl Gisbert das Klischee auch bedient.
"Ich musste schon suchen nach Themen - und bin dann doch wieder bei mir selbst gelandet." Bei "Melancholie", wie ein Stück schlicht benannt ist, bei Ängsten und Wut. "Bei den kleinen Gespenstern, die mich quälen und über die ich dann Lieder schreibe." Doch auch wenn er ein großes Thema seiner Platte, die Stadt, teils mit viel "Grau, Grau, Grau" intoniert, ist er doch kein dauerdepressiver Kandidat. Für Hamburg findet er traumversunken schöne Bilder von fallenden Containern und polternden Herzen. Und er zitiert mal eben Hip-Hopper Dendemann: "Es geht mir gut, es geht mir sehr, sehr gut." Zu dieser positiv gestimmten Seite passt ein weiterer typischer Moment.
Gisbert spielt auf der Dachterrasse des Uebel & Gefährlich. Ausverkauft. Er steht auf einem kleinen Sockel wie die Antithese zu einer Oscar-Statue. Umringt von Publikum. Das macht ihn nervös. Ein Zeppelin schwebt über dem Bunker. Gisbert staunt. Und vergisst seinen Text. Ob der Schönheit. Und der Aufregung. Die Fans ergänzen die fehlenden Passagen.
Gisbert zu Knyphausen : Hurra! Hurra! So nicht. (Pias, 23.4.); live: 25.4, Kampnagel (ausverk.); 8.7.+9.7., Uebel & Gefährlich Dachgarten