Die Tour heißt “Große Freiheit“, gespielt wurde aber im ausverkauften Docks: “Der Graf“ und seine Band Unheilig baten zur Rock-Revue.

Hamburg. Nein, der Erfolg der Münsterländer Düster-Pop-Band Unheilig kommt nicht so überraschend, wie es einige Medien in den letzten Wochen vermitteln wollten. Schließlich feilt "Der Graf", der Front-Impressario der Gruppe, seit elf Jahren an seinem Projekt. Mit jedem seiner sieben Alben, mit jedem Auftritt bei Festivals wie dem Leipziger Wave-Gotik-Treffen, dem Wacken Open Air oder dem M’era Luna Festival bei Hildesheim ging es einen Schritt weiter auf der Erfolgsspur, bis er dieses Jahr mit dem Album "Große Freiheit" den Mainstream eroberte: Platz Eins in den Charts, republikweit ausverkaufte Hallen, drei Abende (10., 11. und 12. April) im rappelvollen Hamburger Docks.

Ja, der Graf ist ein Menschenfänger. Deutlich inspiriert von Rammstein, Wolfsheim, De/Vision, Joachim Witt oder In Extremo (in der "Küss mich"-Phase) erweckt Unheilig die Emotionen zu musikalischem Leben, welche die Menschen am meisten bewegen: Liebe und Angst. Emotionen, die Menschen dazu bringen, sich fest in den Arm zu nehmen. Hoffnungslos romantisiert der Graf am Sonntag im Docks "Das Meer", "Die Seenot", die Fahrt "Abwärts". Große Weiten, große Reisen, auf die man mit "Halt mich" und "An deiner Seite" nicht alleine geht. Denn der gräfliche Kapitän steht, wie einst Leonardo DiCaprio und Kate Winslet in "Titanic", am Bug eines stilitisierten Bühnenschiffs und weist den Weg zur "Freiheit", gar zur "Großen Freiheit".

Viel Abwechslung wird dabei nicht geboten, im Prinzip bewegt sich Unheilig 110 Minuten lang nur zwischen Rammstein-Vollgas ("Unter Feuer", "Maschine") oder Balladen-Vollbremsung ("Geboren, um zu leben", "Mein Stern"), die gebotene Unterhaltung aber weiß zu überzeugen. Mit seiner Joe-Cocker-Zappelgestik, glänzender Glatze, geschniegeltem Anzug und Rocker-Bärtchen wirkt der übermütige Graf ein wenig wie ein moderner Münchhausen oder Eulenspiegel, der sein "Lampenfieber" in puren Esprit umwandelt. Und mit Esprit kann man Menschen auch über musikalische oder stilistische Geschmacksgrenzen hinaus fangen. "Große Freiheit" klingt nach Hans Albers oder Zarah Leander (die in der Umbaupause eingespielt wurden), also sowohl nach übertriebenen Kitsch als auch nach zeitloser Revue. Und diesem Anspruch ist Unheilig gerecht geworden. Denn wenn niemand eine Nase rümpft, ist eine Revue auch keine Revue.