Ulrike Draesner: Vorliebe
Harriet ist Astrophysikerin und will ins All fliegen. Sie funktioniert und ist geübt im Ignorieren von Gefühlen. Bis sie ihrer Jugendliebe wieder begegnet und sich neu in den evangelischen Pfarrer verliebt, der als Idealbild seiner Zunft erscheint: nicht sehr gläubig, dafür leidenschaftlich in biblische Geschichten verliebt. Harriets Lieblingskollege Erick fährt die Pfarrfrau an - es entwickelt sich eine Liebe über Eck. Draesner erzählt das mit Eleganz und Sprachwitz.
Ulrike Draesner: "Vorliebe", Luchterhand Verlag, 320 S., 19,95 Euro
Lutz Seiler: Die Zeitwaage
Der Vater, der Angst hat, seine Tochter zu verlieren. Das Kind beim ersten Kuss. Die Liebe zu einer Schachmeisterin, die plötzlich endet. Und immer geht es bei Lutz Seiler auch um Geräusche: das Jaulen einer Handsirene, das Knistern eines Geigerzählers oder den Ton, den die Zeitwaage macht - eine Maschine, die dem Gang der Uhren und Schicksale lauscht. 13 Erzählungen beschreiben Wendepunkte im Leben.
Lutz Seiler: "Die Zeitwaage", Suhrkamp Verlag, 284 Seiten, 22,80 Euro
Javier Marias: Dein Gesicht morgen
Erste Sätze beherrscht er wie kaum einer: "Man wünscht es nicht, aber man zieht es immer vor, dass derjenige stirbt, der neben einem ist." Der spanische Schriftsteller Javier Marias schließt mit "Dein Gesicht morgen" seine Trilogie ab; wieder geht es um Lügen und Geheimnisse, Reden und Schweigen. Nur konsequent also, dass der Held dieses Mal in die Dienste des britischen Geheimdienstes MI6 tritt.
Javier Marias: "Dein Gesicht morgen". Klett-Cotta, 728 S., 29,90 Euro
Don DeLillo: Der Omega-Punkt
Normalerweise schreibt Don DeLillo in epischer Länge; sein neues Buch bietet in der Kürze die Würze, fasziniert mit seiner Andersartigkeit. Drei Charaktere, zwei Schauplätze, eine Frage: Was geht, wenn nicht mehr viel geht? Das Kammerspiel erzählt von einem Militäranalytiker und einem Filmemacher in der kalifornischen Wüste. Klingt karg und spröde, ist es auch. Aber die Anstrengung lohnt.
Don DeLillo: "Der Omega-Punkt", Kiepenheuer & Witsch, 112 S., 16,95 Euro
Philip Roth: Die Demütigung
Ein alternder, ehemals erfolgreicher Schauspieler, der nicht mehr spielen kann und von seiner Frau verlassen wird, verzweifelt. Bis er die lesbische Tochter seiner Jugendfreunde kennenlernt und mit ihr eine Affäre beginnt, in die er alle Lebenshoffnungen packt. Doch die abenteuerliche Konstellation ist ein letztes Aufbäumen vor den wirklichen Abstürzen. Meisterhaft schonungslos realistisch erzählt.
Philip Roth: "Die Demütigung", Hanser Verlag, 139 S., 15,90 Euro
Julian Barnes: Nichts, was man fürchten müsste
Elegant, packend, komisch, das sind die Markenzeichen von Julian Barnes' Romanen. Nun führt er eine Art Gespräch über Kunst und Tod. Er erzählt Geschichten über seine Angehörigen und erörtert mit Schriftstellern und Komponisten wie Stendhal, Flaubert und Strawinsky scharfsinnig und ironisch die Angst vor dem Treppenlift, den Blick in den Abgrund und das Wie, Wo und Wann, das zum Tod gehört.
Julian Barnes: "Nichts, was man fürchten müsste", Kiepenheuer, 336 S., 19,95 Euro
Anna Gavalda: Ein geschenkter Tag
Jeder von Anna Gavaldas Romanen ist ein Bestseller. Die französische Autorin steht für leichte, aber nicht anspruchslose Texte, die von Familien- und Beziehungsproblemen erzählen. In "Ein geschenkter Tag" geht es um vier sehr unterschiedliche Geschwister, die von einer Hochzeit fliehen. "Die schöne Flucht" heißt der Titel im Original. Passt für Leser, die von der Lektüre schöne Rückzugsmomente erhoffen.
Anna Gavalda: "Ein geschenkter Tag", Hanser Verlag, 128 S., 12,90 Euro
Martin Suter: Der Koch
Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter, derzeit von den Feuilletons zum neuen Johannes Mario Simmel ausgerufen, hat derlei Bekundungen nicht nötig. Er schreibt, wie man es sich als Leser wünscht: eingängig, unterhaltsam, spannend. In "Der Koch" geht es um Essen, Erotik, Bürgerkrieg und Wirtschaftskrise. Klingt anstrengend? Nicht bei Suter. Dem verzeiht man sogar den Rezeptteil im Anhang.
Martin Suter: "Der Koch". Diogenes, 272 Seiten, 21,90 Euro.
Hans Joachim Schädlich: Kokoschkins Reise
Fjodor Kokoschkin, rüstiger Mittneunziger, emeritierter Professor in den USA, kehrt auf der "Queen Mary 2" von einer Nostalgiereise in die Vergangenheit nach Europa zurück. An Bord trifft er die Mittvierzigerin Olga, flirtet mit ihr. Was Schädlich aber auf verschiedenen Zeitebenen erzählt, ist eine Geschichtslektion über Flucht, Vertreibung und Exil. Er erkundet ein Einzelschicksal und beschreibt damit das Weltgeschehen.
Hans Joachim Schädlich: "Kokoschkins Reise" Rowohlt Verlag, 191 S., 17,95 Euro
Arno Geiger: Alles über Sally
Munter, detailreich, plastisch und mit wunderbarer Beiläufigkeit schildert Arno Geiger in "Alles über Sally" Szenen einer in die Jahre gekommenen Ehe. Von kleinen Krächen und Verletzlichkeiten über Sallys Ehebruch bis hin zur langlebigen Liebe weiß Geiger alles über die Höhen und Tiefen des Zusammenlebens. Die intimen Überraschungen einer ganz normalen Ehe machen den Roman so spannend und überaus komplex.
Arno Geiger: "Alles über Sally", Hanser Verlag, 363 S., 21,50 Euro