Wir schreiben den 129. Tag n. P. (nach Pocher). Harald, der du wieder solo bist: Wieso wirst du immer besser?
Hamburg. Beim (gestutzten) Barte des Propheten: So respektlos, unverschämt und dreckig, gemein und teuflisch hat sich der Heilsbringer der deutschen Fernsehunterhaltung lange nicht mehr präsentiert wie bei seinem "Feldgottesdienst" am Donnerstagabend im Ersten.
So hervorragend auch nicht.
Schon kurz nachdem er zu Beginn seiner einstündigen Predigt die gestürzte Moral-Ikone Margot Käßmann gnadenlos durch den Messwein gezogen hatte, begannen die Proteste derjenigen, die sich lieber gegeißelt hatten, statt einfach umzuschalten. Einer der Anrufer beim Sender forderte, den "Ketzer sofort ans Kreuz zu nageln". Der Rest der Märtyrer drohte mit Austritt aus der Gebührenkathedrale GEZ und will diesen "Blasphemiker" in Zukunft boykottieren. Wetten, dass nicht?
Ob man ihm nun folgen will oder nicht: "Dirty Harry" ist wieder richtig in Form. Denn zum einen moderiert er wieder solo, kommt schick gewandet frischer daher denn je und besinnt sich auf seine schauspielerischen Qualitäten. Er vermittelt den Eindruck, als hätte ihn der Glaubensübertritt seines Jüngers Oliver Pocher zu Sat.1 von einer immensen Last befreit. Zum anderen wird die Liturgie seiner Sendungen durch die Messdiener Kathrin Bauerfeind & Co. jetzt nicht mehr gestört, sondern bereichert, weil auch gnadenloser Zynismus mal eine heitere Verschnaufpause braucht.
Kurzum: Das Timing für die Aneinanderreihung der Gemeinheiten stimmt.
Die aktuelle Schmidt-Gemeinde (1,31 Mio. Zuschauer, 7,1 Prozent Marktanteil) ist nachhaltig entzückt, obwohl die Hoffnungen auf seinen neuerlichen Soloversuch im Vorfeld ja nicht besonders hoch gewesen sind. Sogar der Meister selbst orakelte damals, vor der Premiere am 18. September 2009: "Ich nehme an, dass ich die Erwartungen übertreffe", was in alle Richtungen interpretierbar ist.
Doch jetzt scheint das ausgedörrte Satiretal in seiner Gänze durchschritten, jetzt greift "der Rettungsanker in den schäumenden Fluten des Flachsinnfernsehens." Und jetzt stellt es sich auch heraus, dass es von der ARD ein genialer Schachzug war, den gereiften Verächter zu einer "Grundversorgung" zu erheben und dafür lukrative Fußballspiele aus dem Programm zu kicken.
129 Tage nach dem Relaunch ohne Pocher steht Harald Schmidt nicht mehr zur Disposition. Wer sollte ihn auch ersetzen? Das Gedenken an seine (erste) große Glanzzeit ist nicht mehr der gefährlichste Gegner der Kodderschnauze, die sich im internationalen Vergleich mit seiner Performance des "zynischen Nachtgebets" keineswegs verstecken muss.
Doch kann jeder Satiriker immer nur so gut sein, wie auch die Zeit schlecht ist, in der er wirkt. So gesehen muss der Meister nicht lange nach Themen suchen. Harald, unser wöchentliches Negativ gib uns heute: Predige uns vom überschätzten Selbst unserer dahindümpelnden Gesellschaft, deren ethisch-moralische Strukturen immer mehr verwischen! Zeig uns all die Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten auf und führe uns bitte in Versuchung, uns mit dem Versöhnungsgedanken zu beschäftigen.
Letztlich geht es um Polarisierung. Dabei sollte man bedenken, dass eine immanente Reizfigur wie Harald Schmidt eine enorm wichtige gesellschaftliche Funktion ausübt. Denn auf diese Weise wird für ein bisschen mehr Spaß in einer humorlosen Zeit gesorgt, in der es in der Tat ziemlich wenig zu lachen gibt. Wer so unverfroren polarisiert wie er, praktiziert also nichts anderes als aktive Nächstenliebe. Gutes und Konstruktives bewirken kann schließlich nur, wer angefeindet wird.