Hamburg. Die Sache ist höchst ungewöhnlich: Im Januar saßen die Deutschen 256 Minuten vor dem Fernseher. Das sind 14 Minuten mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahrs. Dass die Fernsehnutzungsdauer im Internetzeitalter überhaupt wieder zunimmt, ist ein relativ neues Phänomen. 2009 war die Zeit, die die Deutschen vor der Glotze verbringen, nach drei Jahren erstmals wieder gestiegen - und zwar um fünf auf 212 Minuten pro Tag. Dies hatten Fernsehforscher mit der Wirtschaftskrise erklärt. In einer Studie des TV-Vermarkters Seven One Media erklärten 23,8 Prozent der Befragten, sie würden sich in wirtschaftlich schweren Zeiten mehr als sonst vorm Fernseher vom Alltag ablenken. 18 Prozent gaben an, sich im Fernsehen verstärkt über die Krise informieren zu wollen. Untersuchungen in den USA kamen zu ähnlichen Ergebnissen.
Nun hat sich die Krise binnen Jahresfrist nicht verschärft. Ein Anstieg der Fernsehnutzungsdauer um abermals 14 Minuten lässt sich so nicht erklären.
Sollte es sich nicht um einen Messfehler handeln, kommt für die gestiegene Fernsehlust der Deutschen ein Mix aus drei Faktoren in Betracht: Der extrem kalte Januar hat die Deutschen ans Haus gefesselt, was auch die TV-Nutzung nach oben schnellen ließ. Wegen der verkürzten Winterpause der Fußball-Bundesliga gab es im Januar zwei Spieltage mehr als im Vorjahr - und entsprechend bessere Quoten für "Sportschau", "Aktuelles Sportstudio" und die Sonntagssportsendungen der dritten Programme. Schließlich waren vergangenen Monat extrem viele Blockbuster im Programm, wie am Sonntag die Free-TV-Premiere von "Harry Potter und der Orden des Phönix" auf ProSieben. Diese drei Erklärungen sind altersunabhängig. Und tatsächlich ist der Anstieg der Fernsehnutzungsdauer bei allen Zielgruppen nahezu gleich. Bei der Generation 70 plus stieg die Verweildauer vor dem TV-Gerät um 15 auf 350 Minuten pro Tag an. Und selbst die Zielgruppe der 14- bis 19-Jährigen, deren Fernsehkonsum seit Jahren sinkt, saß 118 Minuten und damit 13 Minuten länger als im Vorjahr vor dem Fernseher.
Ist das Fernsehen also dabei, seine alte Bedeutung zurückzugewinnen? Der Berliner Medienwissenschaftler Robin Meyer-Lucht findet das nicht. "Das Fernsehen wird immer mehr zum Nebenbei-Medium", sagt er. "Sie surfen im Internet und schauen sich währenddessen einen Skiabfahrtslauf an." Auch die neuen Zahlen ließen nicht auf eine gestiegene Relevanz des Fernsehens schließen.