Der Ägyptologe glaubt an Howard Carters Redlichkeit. Er sei kein Dieb gewesen: “Ich habe ein gutes Gefühl bei ihm.“
Hamburg. Dr. Jaromir Malek ist ein überlegter Mensch. Ob Howard Carter ein Dieb gewesen sei? Der Leiter des Griffith Institutes am Ashmolean Museum in Oxford, in dem die vollständigen Aufzeichnungen des Entdeckers von Tutanchamuns Grab lagern, schaut kurz auf seine Hände. "Nein, das glaube ich nicht. Ich habe jedes Wort gelesen, das Carter geschrieben hat und das erhalten blieb. Und ich habe ein gutes Gefühl bei ihm." Doch eigentlich, schiebt der renommierte Ägyptologe gleich hinterher, gebe er auf Gefühle gar nicht so viel: "Man sollte die Emotionen aus dieser ganzen Sache heraushalten und einfach nur die Fakten betrachten."
Und genau hier, so Malek, gebe es noch große Defizite: "Nur 30 Prozent der Objekte, die in Tutanchamuns Grab gefunden wurden, sind bisher wissenschaftlich untersucht und beschrieben worden." Und für keines der Objekte außerhalb Ägyptens, über die spekuliert wird, dass sie aus dem Grab stammen könnten, gebe es einen wirklichen Nachweis. Hier, sagte Malek anlässlich eines Hamburg-Besuchs exklusiv im Abendblatt-Interview, lägen die wirklichen Aufgaben, bevor man sich der immer einmal wieder aufflammenden Diskussion um die Frage anschließen würde, ob Howard Carter das eine oder andere Fundstück aus dem Grab abzweigte.
5389 Grab-Objekte kartierte Carter, nachdem er am 4. November 1922 die lang ersehnte Entdeckung im Tal der Könige gemacht hatte. "Er war ein schwieriger, kompromissloser Mann", sagt Malek. "Die Tatsache, dass er kein ausgebildeter Archäologe war, machte seine Arbeit nicht leichter. Es gab ständig Spannungen zwischen ihm und dem akademischen Establishment. Der Druck auf ihn muss enorm gewesen sein." Umso mehr bewundere er Carters Arbeit - nicht so sehr die Entdeckung selbst, sondern vielmehr die detaillierte Dokumentation des Grabes.
Die These, dass Carter schon früher als angegeben das Grab entdeckt haben könnte und diese Entdeckung verschwieg, hält Malek für komplett unlogisch. "Jeder, der schon einmal in Ägypten gearbeitet hat, weiß, dass man ein solches Geheimnis nicht für sich behalten kann." Noch absurder sei der Gedanke, Carter könne sich alleine durch den mit Steinen zugeschütteten Gang zum Grab gebuddelt, etwas aus den Kammern mitgenommen und alles wieder hinter sich verschlossen haben - ohne jegliche Hilfe, ohne dass jemand davon etwas bemerkte.
Dass Howard Carter später Fundstücke für sich behalten haben könnte, kann Malek jedoch nicht ausschließen: "Ich bin der Hüter von Carters Dokumenten, nicht der Hüter seiner Reputation. Und auch wenn ich es nicht gutheißen würde, könnte ich es verstehen." Einen Dieb würde er ihn dennoch nicht nennen, da Carter nicht versucht habe, Objekte aus dem Grabschatz zu verkaufen. Auch wenn er nach zehn Jahren Suche, Ausgrabung und Dokumentation körperlich und geistig ein Wrack gewesen sei.
Mehr zu Howard Carter im Internet: www.griffith.ox.ac.uk