2010 finden Berlin Festival und Popkomm sowie Reeperbahn-Festival und Campus nahezu zeitgleich statt.

Hamburg. Jahrzehnte hat es gedauert, bis die Regierenden der deutschen Metropolen begonnen haben, Pop wahrzunehmen. Pop ist Kultur, Leben, Image. Und Pop ist ein Wirtschaftsfaktor. 14 000 Arbeitsplätze hängen in Berlin direkt oder indirekt von Popmusik ab, 12 000 in Hamburg. Jetzt kommt es im September 2010 zum großen Showdown zwischen Hamburg und Berlin.

Innerhalb von drei Wochen haben Deutschlands Schwergewichte der Popbranche sowie internationale Exportbüros, Vermarkter und Plattenfirmen - auch mit ihren jeweiligen Bands - die Wahl zwischen zwei ambitionierten Musikfestivals und zwei Pop-Fachmessen.

Nach der diesjährigen Absage der Berliner Leitmesse für Popmusik, Popkomm, mangels Interesse soll der einstige Jahreshöhepunkt der Musikschaffenden 2010 vom 8. bis zum 10. September auf dem Gelände des stillgelegten Flughafens Tempelhof als Messe-, Kongress- und Konzertevent wiederbelebt werden, an den ersten zwei Tagen für Fachpublikum, am Freitag auch für die Öffentlichkeit. Veranstalter ist die Messe Berlin. Anschließend geht die Popkomm bereits am Freitag direkt in das Berlin Festival (10. und 11. September) über, welches im August 2009 mit 30 Bands und 50 DJs 14 000 Besucher zu Peter Doherty und Deichkind auf das Tempelhofer Rollfeld lockte. Die gemeinsame Marke: "Berlin Music Week".

In der Folge geht vom 23. bis zum 25. September das fünfte Reeperbahn-Festival mit seiner angeschlossenen Fachmesse Reeperbahn Campus auf dem Hamburger Kiez an den Start. Dieses Jahr besuchten abends 17 000 Rockfans 150 Konzerte in über 20 Klubs. Dazu stießen 1000 akkreditierte Vertreter der internationalen Musikwirtschaft, die sich tagsüber bei Diskussionen und Workshops austauschten und das Konzept vom Start weg lobten. Nun hat die Branche die Qual der Wahl.

"Bei den Festivalbesuchern wird es kaum Überschneidungen geben, auch nicht bei den Bands, weil wir uns weiterhin auf internationale Geheimtipps konzentrieren", fasst Reeperbahn-Festival-Geschäftsführer Alexander Schulz den Ausblick auf 2010 zusammen, "für die Vertreter der Popbranche aber kommt bei dieser Kollision definitiv nur ein Termin infrage."

Nun müssen schnell attraktive Angebote reifen, um im September an die Spree oder an die Elbe zu locken. Die Popkomm hatte seit dem Umzug von Köln nach Berlin von 2004 an kontinuierlich an Renommee verloren, die krisengeschüttelte Branche fühlte sich mit Ort (Messehallen) und überkommenem Konzept nicht mehr wohl. Dem entgegen steht der klassische Hauptstadtbonus und Berlins Pfund als Hauptquartier großer Plattenfirmen. Hamburg wuchert mit dem innovativen Konzept der engen zeitlichen und örtlichen Verzahnung von Festival und Campus dort, wo Musik in der Stadt seit den 60er-Jahren lebt: in den Klubs. Hier fühlt man das popkulturelle Leben, Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Musik unmittelbarer und authentischer als in der Verlegenheitslösung eines verwaisten Flughafens, der eher an dröhnende Rosinenbomber erinnert als an röhrende Verstärker.

Dieter Gorny, Leiter des Bundesverbandes Musikindustrie und Interessenvertreter von 90 Prozent der Pop-Branche, hatte kürzlich die Berliner Ideen als "nicht internationales und marktrelevantes Ereignis" kritisiert und fordert weiterhin international vorzeigbare Konzepte und klare Bekenntnisse der Städte zur Popmusik. Auch Benedikt Lökes, Kommunikationsdirektor des letzten in Hamburg residierenden Branchenriesen Warner Music Central Europe, sieht die Zukunft der Popkomm noch kritisch: "Wir warten nach wie vor auf ein schlüssiges, zukunftsorientiertes Konzept, wie es mit der Popkomm in Berlin weitergehen soll. Wenn die Popkomm allein dazu benutzt werden soll, den Musikstandort Berlin politisch zu stützen, ist es eher unwahrscheinlich, dass Warner diesen Ansatz unterstützt." Als Hamburger Unternehmen werde man sich natürlich weiterhin für das Reeperbahn-Festival engagieren. "Wichtig ist, dass sich der Senat für die hoch angesehene Veranstaltung, deren positives Image weit über die Grenzen unserer Stadt hinausstrahlt, auch in Zukunft maßgeblich einsetzt", so Lökes.

Da passt es gut, dass die medienpolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen, Farid Müller (GAL) und Andreas C. Wankum (CDU), gestern neue Fördermaßnahmen der Hamburger Popszene vorstellten (siehe Kasten) und ein Bekenntnis abgaben. Müller: "Wir werden die Fördermittel für Reeperbahn-Festival und Campus auch 2010 nicht reduzieren."