Tinariwen begeisterte mit hypnotischem Wüstenblues, Sängerin im Publikum sowie kleiner Tochter auf der Bühne. Ein legendärer Abend.
Hamburg. Mal ein „Ca va?“, mal ein „Dankeschön“: Mehr direkte Kommunikation gibt’s aufgrund der Sprachbarriere nicht zwischen Tinariwen und dem Publikum in der Fabrik. Aber wer braucht schon Worte, wenn die Musik spricht?
Längst ist bekannt, welch archaische Kraft die Lieder der Tuareg-Band aus dem westafrikanischen Mali haben, und so zeigt sich der Saal gut gefüllt, als zunächst nur sechs Mitglieder der neunköpfigen Gruppe die Bühne betreten.
Nach verhaltenem Beginn mit „Tenhert“ vom aktuellen Album „Imidiwan: Companions“, wird schon beim zweiten Stück, „Tenere Bous“, das Tempo angezogen, und obwohl überraschender Weise gar keine Sängerin auf der Bühne steht, sind plötzlich die typischen, sich geradezu überschlagenden Triller zu hören. Des Rätsels Lösung: Mina Wallet Oumar steht mit Freundinnen mitten im Publikum, tanzt und singt. Nach der Geburt ihrer Tochter hatte sie die Band verlassen, doch das Hamburger Konzert lässt sie sich nicht entgegen – zumal sie – kaum zu glauben, aber wahr – mit ihrer Familie in Stade wohnt.
Im letzten Drittel des Konzerts geht sie dann doch noch auf die Bühne: Sanft wiegt sie sich in ihrem eleganten Tasirnest-Wickelgewand, die lockigen schwarzen Haare unter einem reich bestickten Tuch verborgen und zieht natürlich alle Blicke auf sich - wie zuvor Bandgründer Ibrahim Ag Alhabib, der erst nach einer guten halben Stunde erscheint, aber sofort eine ungeheure Würde und Autorität ausstrahlt. Ruhig, ja geradezu in sich gekehrt, steht er da und spielt auf der Gitarre Soli, die Mitten ins Herz treffen. Kein Wunder, dass Carlos Santana, ein Gitarrist mit ebenso unverkennbarem Sound, zur Tinariwen-Fangemeinde zählt.
Eine gute Stunde steht Tinariwen inzwischen auf der Bühne und Songs wie „Amassakoul ’n’ Ténéré“ oder „Amidinin“ entwickeln mit ihren sich immer wiederholenden Riffs und den Call-and-Response-Gesängen eine hypnotische Kraft, lassen Zeit und Raum vergessen - und verwandeln das Publikum in eine wogende, klatschende Masse. Warm ist es in der Fabrik geworden, aber das passt zum Wüstenblues. Fehlen eigentlich nur noch feinkörniger Sahara-Sand auf dem Boden, ein tiefschwarzer, von funkelnden Sternen erleuchteter Himmel – und vielleicht ein Gläschen heißer, stark gesüßter Pfefferminztee, den die Bar aber leider nicht im Angebot hat.
Nach knapp zwei Stunden ist auch die letzte Zugabe gespielt, Minas Tochter auf die Bühne gelaufen und die Band mit frenetischem Jubel endgültig verabschiedet worden. Alles strömt hinaus - aber nicht, ohne sich am inzwischen aufgebauten Merchandise-Stand noch mit CDs und T-Shirts einzudecken. Eine handfeste Erinnerung an diesen wunderbaren Abend möchte nämlich so mancher mit nach Hause nehmen.