In einem Plädoyer warnte das Hamburger Abendblatt am 16. Oktober vor den Folgen einer möglichen Kulturetat-Kürzung um weitere zehn Millionen Euro. In der Hamburger Kulturszene sorgt der angekündigte Sparkurs für Entsetzen und Widerspruch.
Gestern vertrat Frank Neubauer (Bund der Steuerzahler Hamburg) die These, man könne doch weniger für Kultur ausgeben - wenn man leistungsabhängig fördere.
Matthias von Hartz , Leiter des internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel: "Das niederländische System der Kulturförderung ist sehr interessant: weniger die zeitliche Befristung als die Prämisse, eher Künstler zu fördern als Kulturinstitutionen. Gleichzeitig muss man wissen, dass in den Niederlanden relativ mehr für Kultur ausgegeben wird als hier.
Hamburg gehört in Europa nicht zur Spitze. Institutionen schrumpfen, Künstler verlassen seit Jahren die Stadt in Scharen. Während in anderen Großstädten neue Arbeitsmöglichkeiten und Förderungsmaßnahmen entstanden sind, konnte hier nur manche Verbesserung erreicht werden, in vielen Bereichen jedoch nicht mal der Status Quo erhalten werden. Eine ernst zu nehmende Metropole braucht eine lebendige internationale Kulturszene. Dazu gehören starke Institutionen und Künstler. Wer verhindern möchte, dass Hamburg sich zur Harley-Days-Queen-Mary-Stadt entwickelt, muss investieren. In Kultur."
Prof. Wolfgang Sobirey , Präsident des Landesmusikrats Hamburg: "Herrn Neubauers Einlassungen greifen zu kurz. Orchester oder Opernhäuser finanzieren sich nicht am Markt. Man kann ihnen nicht mal eben ein Jahr lang weniger oder gar kein Geld geben. Dann lösen sie sich auf, und kostbare Qualität geht verloren. Will man Kultur und Kunst demokratisieren und möglichst viele Menschen daran teilhaben lassen, ist es ein Zuschussgeschäft und verlangt Kontinuität. Macht man Kunst nur für Besucher, "die dafür auch etwas zu zahlen bereit sind", bleibt die Mehrheit der Bevölkerung vor der Tür.
Es wäre Aufgabe und Recht des staatlichen Geldgebers, wesentlich mehr Nachwuchsarbeit bzw. Öffnung zu neuen Publikumsschichten zu fordern.
Gesehen werden sollte, dass sich die Förderpolitik immer noch auf die Einrichtungen im Zentrum der Stadt konzentriert. Es wäre verheerend, jetzt die viel zu geringe Zahl der dezentralen Kulturangebote (Jugendorchester, Laienchöre, Bürgerhäuser etc.) zu verringern. Was klar fehlt, da hat Herr Neubauer recht, sind Fördermittel, die von Jurys an freie Anbieter und Gruppen vergeben werden. Insofern untermauert Herr Neubauer die Forderung, dass der Zwergenetat der Hamburger Kultur nicht verringert, sondern erhöht werden muss. Dass weniger Geld auf jeden Fall mehr Kunst bringt, ist populistisch und ein Witz."
Friedrich Schirmer , Intendant Deutsches Schauspielhaus Hamburg: "Aus unserer Sicht - der der Kulturschaffenden - ist es gut, das Hamburger Abendblatt bei den bevorstehenden Auseinandersetzungen auf unserer Seite zu wissen. Was Sie über die existenzielle Notwendigkeit von Kultur und ihrer Finanzierung schreiben, sagen wir zwar auch ständig, aber uns ließe sich im Zweifelsfall Lobbyismus in eigener Sache vorwerfen. Ihr Beitrag artikuliert das Interesse der Bürger dieser Stadt.
Wir müssen Stellung beziehen, vor allem angesichts der horrenden Beträge, die allein in Hamburg im Finanzsektor versenkt wurden und für die klaglos Hilfe aufgebracht wurde - aus Steuermitteln, wohlgemerkt. Aus der Sicht der Zocker sind die Summen, um die es sich im Bereich der Kultur handelt, ja geradezu lächerlich. Wir müssen jetzt das Selbstverständnis unserer Stadt, unserer Gesellschaft reflektieren und dementsprechend handeln. Die öffentliche Debatte, die das Abendblatt angestoßen hat, ist der erste Schritt dazu."