Mit Herta Müller würdigte die Schwedische Akademie zum 13. Mal in ihrem mehr als 100-jährigen Bestehen einen Vertreter der deutschsprachigen Literatur.

Stockholm/Hamburg. Genau zehn Jahre nach der Auszeichnung von Günter Grass geht der Nobelpreis für Literatur wieder nach Deutschland. Die Schriftstellerin Herta Müller wurde am Donnerstag von der Schwedischen Akademie in Stockholm mit der höchsten Auszeichnung der literarischen Welt gewürdigt. Die 56 Jahre alte Autorin wurde in einer deutschsprachigen Region Rumäniens geboren und lebt nach Erfahrungen mit Zensur und politischer Verfolgung seit ihrer Ausreise 1987 in Berlin. Sie gilt zur Zeit als wichtigste Stimme der deutschen Minderheit Rumäniens. Mit Herta Müller würdigte die Schwedische Akademie zum 13. Mal in ihrem mehr als 100-jährigen Bestehen einen Vertreter der deutschsprachigen Literatur.

Herta Müller zeichne „mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit“, begründete die Schwedische Akademie ihre Entscheidung. Sie habe „überglücklich“ auf den Anruf aus Stockholm reagiert, sagte der Akademie-Vorsitzende Peter Englund. „Das Vergangene ist für sie immer lebendig. Als ich ihre Bücher gelesen habe, hat mich das innerlich erschüttert. Sie schreibt völlig ehrlich, mit einer unglaublichen Intensität. (...) Sie hat wirklich eine Geschichte zu erzählen. Und sie hat die sprachlichen Möglichkeiten dazu.“

Noch wenige Tage vor der Zuerkennung des Nobelpreises hatte sich Herta Müller äußerst skeptisch über ihre Chancen geäußert. „Ich glaube nicht daran. Ins Gespräch kommt man ja immer, aber das machen die dieses Jahr nicht“, sagte sie im dpa-Gespräch. „Natürlich wäre ich auch glücklich. Aber ich bin kein Star und mag auch nicht in die Öffentlichkeit gezerrt werden. Ich mache meine Arbeit wie gewohnt im Stillen weiter.“ Publikationsverbot und Verfolgung durch Geheimpolizei

Spröde und unsentimental im Stil verarbeitet Müller Erlebnisse von Fremdheit und politischer Verfolgung. Ihr Lebenswerk zeugt von schmerzhaften Erinnerungen an eine düstere Vergangenheit unter dem Ceausescu-Regime und den Erfahrungen der deutschen Minderheit in dem Land. In der rumänischen Region Banat, der Heimat der Banater Schwaben, stand Müller während des Kommunismus einem oppositionellen Kreis nahe. Aufgrund ihrer Weigerung, mit der rumänischen Geheimpolizei Securitate zusammenzuarbeiten, wurde sie als Übersetzerin arbeitslos. Nachdem sie die Diktatur in ihren ersten Büchern öffentlich kritisiert hatte, kam ein Publikationsverbot hinzu.

Ihr gerade erschienener Roman „Atemschaukel“ schildert die grausamen Erfahrungen eines 17-jährigen Deutschen, der im Zweiten Weltkrieg von Russen aus Rumänien zur Zwangsarbeit in die damalige Sowjetunion deportiert wird. „Atemschaukel“ steht auch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, der in der kommenden Woche auf der Frankfurter Buchmesse vergeben wird.

Der Spitzenverband der deutschen Buchbranche reagierte mit „uneingeschränkter und riesiger Freude“ auf Müllers Auszeichnung. „Es mag überraschend sein. Aber das geht vollkommen auf“, sagte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder. „Sie ist eine der größten Stimmen, die wir haben. Kräftig und fein.“ International gesehen habe die Entscheidung wenige Tage vor Beginn der Frankfurter Buchmesse über die Literatur hinaus auch eine „politische Wirkung“.

Der Alltag in einem erstarrten, totalitären System ist auch das Thema von Herta Müllers Roman „Der Fuchs war damals schon der Jäger“ (1992). „Herztier“ (1994) beschreibt das Leben der Oppositionellen in Rumänien. Vor genau 100 Jahren Nobelpreis für Selma Lagerlöf Müller erhielt bereits zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Kleist-Preis, den Joseph-Breitbach-Preis, den Würth-Preis für Europäische Literatur und 2006 den Walter-Hasenclever-Literaturpreis. Seit 1995 ist sie Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Genau vor 100 Jahren wurde mit der Schwedin Selma Lagerlöf die erste Frau überhaupt mit dem Preis ausgezeichnet. Zu den bisherigen Trägerinnen gehören unter anderem die Österreicherin Elfriede Jelinek, Toni Morrison, Nadine Gordimer und Pearl S. Buck. Im vergangenen Jahr hatte der Franzose Jean-Marie Gustave Le Clézio den Preis bekommen. Der Literatur-Nobelpreis wird stets am 10. Dezember in Stockholm vergeben, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896). Die Auszeichnung ist aus der Stiftung von Nobel mit umgerechnet rund einer Million Euro dotiert. Die Urkunde wird von König Carl XVI. Gustaf in Schwedens Hauptstadt überreicht.