Tokio Hotel, Jimi Blue und Wilson Gonzales Ochsenknecht - wie Teenie-Idole erwachsen werden (wollen).
Hamburg. Das Teenager-Glück hat in den kommenden Tagen einen Preis: 20 Euro. Für diese Gesamtsumme bekommt man morgen das neue Tokio-Hotel-Album "Humanoid" und heute eine Kino-Eintrittskarte für den Film "Gangs" mit Jimi Blue und Wilson Gonzales Ochsenknecht. Zwei Pflichttermine für viele Jugendliche zwischen 11 und 19 Jahren - sie sind die Zielgruppe eines strategischen Marketing-Masterplans, welcher hinter den jeweiligen jungen Künstlern steht. Die Ambitionen sind hoch, denn sowohl "Humanoid" als auch "Gangs" soll der Schritt sein, die Erwartungen der mitgealterten Fans zu erfüllen als auch ältere Zielgruppen zu erreichen - raus aus den Kinder- und Jugendzimmern, rein ins ernste Kulturfach.
Bei Tokio Hotel kommt ein enormer internationaler Anspruch hinzu. Seit der Veröffentlichung des zweiten Albums, "Zimmer 483" (2007), sind die Kaulitz-Zwillinge Bill und Tom (20), Georg Listing (22) und Gustav Schäfer (21) auch international zu Stars gereift und stürmten weltweit Charts und Konzerthallen, von den USA bis nach Israel. Für das wieder auf Deutsch und auf Englisch aufgenommene Album Nummer drei überließen die Band und das Produzententeam um David Jost dementsprechend nichts dem Zufall.
"Humanoid" erweitert den Horizont von Tokio Hotel auf ein übermenschliches Format mit verstärkten Elektro- und Synthie-Einflüssen - bei bleibendem emotionalen Rock-Pop-Appeal. Wie hoch die internationalen Ambitionen sind, sieht man auch an der Riege der Koproduzenten und Texter: Desmond Child produzierte bereits Bon Jovi und Aerosmith, Guy Chambers veredelte Robbie Williams und Anastacia und das "The Matrix"-Team arbeitete für Shakira, Avril Lavigne - und für die US-Metalstars Korn, deren Sänger Jonathan Davis einen Bonussong für Tokio Hotel geschrieben hat.
Der endgültige Schritt ins Ausland ist die logische Folge der Entwicklung zu Hause. "In Deutschland hat der Rummel um Tokio Hotel in den letzten zwei Jahren abgenommen, weil sich die Band speziell in den USA stark engagiert hat", bestätigt der stellvertretende "Bravo"-Chefredakteur und Tokio-Hotel-Mitentdecker Alex Gernandt, "jetzt müssen sie den Spagat schaffen, hier die Herzen der Fans zurückzugewinnen und sich bei älteren Musikhörern zu etablieren. Das Potenzial haben sie. Auch Depeche Mode hat einst als Teenie-Band begonnen."
Auch Uwe Ochsenknechts angehimmelte Söhne Jimi Blue (17) und Wilson Gonzales (19) wollen versuchen, ihre vor allem durch die Kicker-Filmreihe "Die Wilden Kerle" (fünf Folgen von 2003 bis 2008) angeschobene Karriere als mittlerweile (fast) erwachsene Stars weiterzuentwickeln. Daher wird der heute startende Spielfilm "Gangs" nicht wie "Sommer" (2008) als Teenie-Lovestory beworben, sondern als Sozialdrama von den harten Straßen Berlins. Dass nicht jeder Kritiker Jimi und Wilson die Rolle des wilden Mitglieds der Jugendgang "Rox" abnehmen wird, dürfte nicht nur an der obligaten Lovestory liegen, sondern auch an gestelzten Dialogen und unglaubwürdigen "Getto"-Umgebungen in Altbauvierteln.
Aber die Fans bekommen, was sie erwarten, vielleicht demnächst auch wieder auf CD. Schließlich bedienten die Brüder letztes Jahr auch relativ erfolgreich als Sänger die CD-Regale, Jimi Blue als Justin-Timberlake-Imitat mit seinem bereits zweiten Album, "Sick Like That", und Wilson Gonzales als Rocker mit "Cookies" - ein klassischer Fall von seit Elvis-Zeiten bewährter Überkreuz-Vermarktung. Eine Fortsetzung der Musikerkarriere dürfte nicht ausgeschlossen sein, auch wenn Alex Gernandt diese Entwicklung mit Skepsis beobachtet: "Die beiden sollten sich demnächst entscheiden, ob sie sich auf das Pop- oder Schauspielfach konzentrieren wollen. Nicht jeder hat das Zeug - Jennifer Lopez ist ein gutes Negativ-Beispiel - für eine überzeugende Gesangs- und Filmkarriere".
Die Voraussetzungen der singenden Brüder sind jedenfalls alles andere als schlecht: Sie hatten für ihre Alben Plattenverträge mit Universal Music bekommen. Wie Tokio Hotel.