Hamburg. Die Frankfurter Buchmesse hat, nur einen Tag nach dem Ende des Symposiums "China und die Welt - Wahrnehmung und Wirklichkeit", ein neues Problem im Zusammenhang mit der Auswahl ihres Gastlandes China. Ungemach droht, weil die International Campaign for Tibet (ICT) öffentlich gemacht hat, dass ihr ein Flyer-Verteilen auf dem Messegelände nicht genehmigt wurde. Damit wollte die Organisation, zu der auch Tibet-Freund Richard Gere gehört, auf eine Lesung von Hannes Jaenicke hinweisen, die am Sonntag, dem 18. Oktober, um 14 Uhr auf der Buchmesse stattfindet. Die Flyer könnten nur auf dem Messestand der ICT und den Veranstaltungen der Organisation verteilt werden. Auf der Lesung will Jaenicke Texte tibetischer Autoren vortragen und auf die Lage dieser Autoren hinweisen. In Tibet, das 1956 von der Volksrepublik China okkupiert wurde, leidet die eingeborene Bevölkerung unter zunehmender Überfremdung durch zuziehende Chinesen und der Bedrohung der eigenen alten Kultur des Berglandes.
Kai Müller, Geschäftsführer der ICT, sagte dem Abendblatt, die Nichtgenehmigung der Flyer-Verteilung auf den Wegen zwischen den Messehallen "kommt einer Zensur gleich". Offensichtlich wolle die Buchmessen-Leitung das Verteilen einschränken, um den Ehrengast China nicht zu brüskieren. Müller weist die Argumente der Messeleitung zurück, die ein "hohes Gefahrenpotenzial durch sich aufstauende Menschen" beim Verteilen von Handzetteln geltend machte und meinte, diese Menschenmengen könnten durch die "Diskussion zwischen Andersdenkenden" entstehen. Müller sagte weiter: "Wenn das Management der Buchmesse nicht in der Lage ist, die Sicherheit der Buchmesse zu gewährleisten, wenn zwei Personen Zettel verteilen, ist es offenbar mit der Organisation einer internationalen Messe überfordert." Er vermutet, dass die Absage an die ICT darauf zurückgeht, dass sich die Verantwortlichen der Buchmesse durch den Ehrengast China unter Druck fühlen oder setzen lassen. Er habe Messedirektor Boos nachdrücklich gebeten, diese Entscheidung zu revidieren.
"Die ICT versucht uns in eine Ecke zu drängen, in die wir nicht gehören", sagt dagegen Buchmessen-Sprecher Thomas Minkus dem Abendblatt. Hintergrund für die Nichtgenehmigung der Flyer-Verteilung seien ausschließlich "Sicherheitsbedenken": "Die Sicherheit der insgesamt rund 300 000 Besucher in den engen Messegängen muss gewährleistet sein. Aus diesem Grund konnten wir dem ICT keine pauschale Genehmigung erteilen." Man sei aber bereit, das Verteilen überall dort zuzulassen, "wo dem keine Sicherheitsbestimmungen entgegenstehen". Man bemühe sich, in Absprache mit dem ICT, konkrete Zeitpunkte sowie geeignete Wege dafür zu finden.
Vor allem der Vorwurf, die Meinungsfreiheit einzuschränken, weist Minkus weit von sich: "Der freie Informationsfluss und die Freiheit von Meinung und Rede sind das höchste Gut der Frankfurter Buchmesse." In Aktionen wie der des ICT sieht er "einen Versuch, die Öffentlichkeit zu instrumentalisieren, um Aufmerksamkeit für die eigene Sache zu erreichen". Und prophezeit: "Ähnliches werden wir in den kommenden Tagen und Wochen noch häufiger erleben."
Erst am Sonnabend hatte der Auszug der chinesischen Delegation nach dem ersten Auftritt der beiden Dissidenten-Schriftsteller Dai Qing und Bei Ling bei dem Symposium für einen Eklat gesorgt. Erst nach einer Entschuldigung von Buchmessen-Direktor Jürgen Boos konnte die Tagung fortgesetzt werden. Es war die zweite Entschuldigung des Messe-Managers: Zuvor hatte er die Dissidenten ausgeladen und dann in einer Kehrtwende doch wieder eingeladen.