Stephen King und Daniel Kehlmann würde man nicht so unbedingt zusammenbringen. Beim Literaturfestival Harbour Front passten sie aber gut zueinander.

Hamburg. Irgendwann knipsen sie versuchsweise im Foyer von Gruner + Jahr das Licht aus. Nur ganz kurz; vielleicht, um für ein düsteres Ambiente zu sorgen. Vorne, auf einer kleinen Bühne, lesen Daniel Kehlmann und Joachim Kalka Furchterzeugendes aus Horrorklassikern. Zwischendurch reden sie ziemlich gescheit darüber. Der eine, Kehlmann, ist ein literarisches Schwergewicht, der andere, Kalka, ein kluger Kritiker, der eine Monographie über das Triviale in der Hochliteratur verfasst hat. Horrorerzeugung, die Schilderung von beklemmenden Schrecknissen, gilt ja gemeinhin als poetisch minderwertige Arbeit. Obwohl, sieht man mal von Bestsellerautor Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) ab, der Verfasser von Hochliteratur von den Auflagen eines Stephen King nur träumen kann.

Der amerikanische Horrorkönig diente den beiden beredten Plauderern übrigens nur als Genre-Chiffre, und ein bisschen auch als Lockmittel. Erst ganz am Schluss kam King zu seinem Recht, als Kehlmann, der Thomas-Mann-Preisträger, die Kurzgeschichte „Harveys Traum“ vorlas. Vorher wurden freilich die Großen aus der Ahnengalerie vorgestellt: H.P. Lovecraft, Algernon Blackwood, Arthur Machen. Im viktorianischen England erlebte die Horrorliteratur eine erste Blüte, und der Waliser Machen gilt King als der beste Autor aller Zeiten.

Die Geschichte des Jungen, dem eine Erscheinung im Wald einen beinah namenlosen Schrecken einjagt, bezeugt die so simple wie gekonnte handwerkliche Gestaltung einer Horrorgeschichte. Der Leser erfährt nicht, wen der Knabe in den Wäldern sah – war es wirklich einfach nur ein Mann? – aber er verfolgt gebannt, wie jener im Wahnsinn versinkt. Die Leerstellen sind es, die eine Geschichte erst richtig gut machen; was grundsätzlich wahr ist, gilt erst recht für das Genre des Horrors. Die Handlungen und Szenen, die auf eine Katastrophe oder eine horrible Erscheinung hinführen, sind großartig, die Klimax selbst oft grell, überzeichnet, peinlich. Kehlmann: „Würde King mehr weglassen, dann gehörte sein Werk zur Weltliteratur.“

Trotzdem war die Spannung nirgends so fühlbar wie beim King-Teil. Da rückte die gepflegte Textexegese der beiden literaturwissenschaftlich geschulten Deuter in den Hintergrund. Blackwoods in seiner Geschichte „Die Weiden“ allegorisch verarbeitete Einsicht, dass es einzig die Phantasie des Subjekts ist, die die alptraumartigen Gespinste und Gesichte hervorruft, wird von keinem so fulminant verbreitet wie Stephen King. Und darüber kann man sich sehr gelehrt auslassen, wie Kehlmanns Erklärung einer anderen Grundvoraussetzung von Horrorerzeugung zeigt. „Eine schwindelerregende dialektische Verdoppelung“ sei es, wenn der Held von seinem Verderben zunächst durch ein Medium erfahre. Der Leser liest ja auch – warum sollte ihm das Schreckliche nicht auch am eigenen Leib widerfahren?