“Es ist, als wären wir durch das Passieren des gelben Ortsschilds in einer anderen Galaxie gelandet“: Abendblatt-Reporter Holger True ist in Wacken mitten drin.

Wacken. Am Morgen nach dem großen Regen haben sich die Wege auf den Campingplätzen in Schlammwüsten verwandelt. Bei jedem Schritt quillt der Matsch über die unsinnigerweise vorher noch gewaschen Turnschuhe. Ein echter Festival-Anfängerfehler, meine Doc Martens nicht mitzunehmen – wo doch im Auto Platz genug gewesen wäre. Also auf zum Merchandise-Stand, um Gummistiefel mit Festival-Aufdruck zu ergattern. 30 Euro werden dafür verlangt, doch ich bin froh, überhaupt noch welche zu bekommen. Was offizielle Fanartikel angeht, herrschen nämlich echte Mangelzustände inklusive Anstehen nach alter DDR-Tradition und enttäuschte Gesichter eine halbe Stunde später. Ob T-Shirts, Boxershorts oder DVDs. (fast) alles ist binnen kürzester Zeit weg.

Aber wir sind ja nicht hier, um einzukaufen, sondern wegen der Bands – und die übertreffen am zweiten Tag alle Erwartungen. Die Schwarzmetaller von Endstille schauen wir uns auf den Monitoren im Pressezentrum an, und das reicht auch. Männer mit verschmiertem Corpse Paint und martialischen Nietenarmbändern bewegen sich einfach permanent an der Grenze zur Lächerlichkeit – und ihre rausgekreischten Hasstiraden machen die Sache auch nicht besser. Pubertierende Jungs mögen daran ihren „Spaß“ haben, für uns ist das nix…

Ganz im Gegensatz zu Tristania, die am Nachmittag auf der Party Stage für Superstimmung sorgen. Sängerin Mariangela Demurtas gehört eindeutig in die Kategorie „Klein, aber oho“ und hat neben Schauwerten (ähem…) auch eine klasse Stimme zu bieten. In der Gothic-Metal-Schublade, die schon Bands wie Nightwish oder Within Temptation belegen, sind Tristania nur bedingt gut aufgehoben. Sie sind viel besser!

Kurze Luftmatratzen-Ablieg-Pause, dann locken uns Airbourne vor die Black Stage und spielen sich bei strahlendem Sonnenschein einen Wolf. Unfassbar, welche Energie speziell Frontmann und Gitarrist Joel O’Keeffe hat: Wie ein Derwisch fegt er über die Bühne, erklettert den 20 Meter hohen Lichtturm und peitscht einen Killerriff nach dem anderen in die begeistert mitgehende Menge. Natürlich klingen Airbourne wie AC/DC und kommen ja auch aus Australien, aber wozu den Hardrock neu erfinden? Die Band hat ganz klar das Zeug zum Headliner und ist hoffentlich auch 2010 in Wacken dabei. Bereits jetzt als Headliner gebucht sind Motörhead, die das Publikum vom ersten Ton an auf ihrer Seite haben. Lemmy ist aber auch ein verdammt cooler Hund, macht Witze über das Publikum („This song is from 1986, before you were born…“) und leitet den Auftritt natürlich mit dem immer wieder gern genommen Satz „We are Motörhead, and we play Rock ‚n’ Roll“ ein. Ein Hammersong aus mehr als 30 Jahren Bandgeschichte folgt auf den anderen, aber besonders gefeiert werden „Killed By Death“ und das Zugabendoppel aus „Ace Of Spades“ und „Overkill“.

Eigentlich wäre zu erwarten, dass die Menge jetzt einen Abflug macht und sich kollektiv in die Horizontale begibt, um das reichlich getrunkene Bier abzubauen, doch das folgende Programm ist einfach zu stark. Bullet For My Valentine, In Flames: Wer will da an Schlaf denken? Wir jedenfalls nicht, zumal Doro eine Dreiviertelstunde nach Mitternacht auf die Bühne geht. Manchem mag sie musikalisch zu konventionell sein, doch die deutsche First Lady des Hartmetalls ist einfach eine Institution und immer noch problemlos in der Lage, Zehntausende um den kleinen Finger zu wickeln. Eine Stunde lang feiert sie ein Metal-Familienfest, und unverkennbar ist für sie Wacken eine Art zweites Wohnzimmer. Große Klasse und so euphorisierend, dass ich mir tatsächlich für 25 Euro ein ziemlich cooles Doro-Shirt kaufe – obwohl ich doch eigentlich das Geld zusammenhalten wollte…

Für den Abschluss der Nacht sollen eigentlich die Doom-Metaller Pentagram im Headbangers Ballroom sorgen, doch da liegt der Teufel im Detail. Es gibt nämlich (mindestens) zwei Bands dieses Namens. Und die Langhaarigen, die da am Start sind, spielen dummerweise keinen Doom-, sondern klassischen Death Metal und kommen aus Chile. Hm, wer das Programmheft lesen kann, ist klar im Vorteil… Also ab in die Heia? Ja, aber nicht, ohne vorher noch einen ordentlichen Schluck aus der Viking-Metal-Pulle zu nehmen. Den haben Amon Amarth im Angebot, die mit Wikingerschiff auf der Bühne und viel Pyro auch optisch einiges her machen. Dennoch, gegen das sich mit Macht meldende Schlafbedürfnis haben auch die wilden Nordmänner kein Mittel. Jetzt heißt es erst einmal Kraft tanken, denn morgen ist ja auch noch ein Tag.