Dicke Wälzer und dicke Füße, Geheimtipps und Getümmel, Partys und Pickel. Ein erster Bericht über den alljährlichen Messen-Wahnsinn.
Frankfurt/Main. Der erste Tag auf der Buchmesse ist immer der schönste. Schon wenn man am Frankfurter Hauptbahnhof ankommt, wird man freundlich von den Taxifahrern begrüßt: "Endlich sind wieder die netten Buchmessen-Gäste da. Sie glauben gar nicht, was für ordinäre Leute zu Messen wie Autosalon oder Sanitärmesse herkommen. Da muss man die ganze Nacht nur Rotlichtadressen anfahren."
Na ja, die Buchbranche bleibt lieber unter sich und gibt sich Tag und Nacht das Motto "Prosa, Prosecco, Promiskuität". Klingt entschieden eleganter als "Motor, Miezen, Moneten" oder "Waschbecken, Weiber, Würstel" oder was man sich sonst noch im Feuchtgebiete-Bereich vorstellen kann.
Charlotte Roches "Feuchtgebiete"-Bestseller jedenfalls ist auf der Messe als Thema durch. Ebenso wie die meisten Herbst-Novitäten, die die Kritiker, Verlagsmitarbeiter und Buchmenschen längst gelesen haben, bevor sie nach Frankfurt aufbrechen. Denn hier geht's schon wieder um Abschlüsse, Lizenzen und Auslandsrechte. Die sechs Romane von der Shortlist zum Deutschen Buchpreis zählen zu dem, was man jetzt kennen sollte, auch einen Neuling wie Maria Cecilia Barbettas "Änderungsschneiderei Los Milagros", Christian Krachts "Ich werde hier sein" oder Stefan Merrill Blocks "Wie ich mich einmal in alles verliebte".
Am ersten Messetag kann man sich noch freuen, wenn man bei all den lieben Kollegen, die man ein Jahr lang nicht gesehen hat, feststellen kann, dass sie auch nicht jünger oder schlanker geworden sind. Also taucht man gemeinsam ins Getümmel, hastet zwischen den in drei Etagen gestapelten Verlagskojen hin und her. Und abends wird gefeiert. Wer nicht mindestens drei Verlagspartys schafft, gilt als Weichei. Nachts, da schlafen nur die Langweiler. Oder die Autoren, also Menschen, die noch kreativ denken müssen. Der diesjährige Gewinner des Deutschen Buchpreises etwa, Uwe Tellkamp, soll sich von der ihm zu Ehren ausgerichteten Feier am Montagabend mit den Worten verabschiedet haben: "Um zehn Uhr liege ich gewöhnlich im Bett."
Auf dem Messegelände freut man sich darüber, dass die Verlagsstände genau wieder dort sind, wo sie immer schon waren. Als seien sie nie weg gewesen. Riesige, funkelnde Palaststände, etwa von Droemer, Hörbuch, Bertelsmann, und winzige, hundehüttengroße Pressplattenabteile, dort, wo Editionen und Handpressen Einzelstücke anbieten. Viele der Verlage, die Kochbücher anbieten, setzen auf den Fresstrieb. Sie bieten frisch Gekochtes an, meist von Fernsehköchen zubereitet. Die Schlangen vor den Ständen kräuseln sich bis um die Ecken.
Rund 1000 Autoren stellen sich auf der Buchmesse vor. Da heißt es auswählen. Gern sah man gestern einer Preisverleihung für den "Kuriosesten Buchtitel des Jahres 2008" zu, gewonnen hat dann der Titel "Begegnungen mit dem Serienmörder. Jetzt sprechen die Opfer". Wer da nicht ins Grübeln kommt, hat wenigstens was zu lachen.
Etwas ernster präsentierte sich Franz Müntefering, der für sein mit Tissy Bruns geschriebenes Buch "Macht Politik" werben wollte und dabei auch Erstaunliches von sich gab. Ja, Angela Merkel mache ihren Job als Bundeskanzlerin gut, gab er zu. Und über die Politiker allgemein klagte er, dass sie immer wieder über Dinge redeten, von denen sie nichts verstünden. Ach! Wie schön, dass Politiker manchmal auch die Wahrheit sagen.
"Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", heißt es ja. Manchmal ist spät aber genau richtig. Etwa wenn man am späten Nachmittag abgekämpft in die Halle des Gastlandes Türkei möchte. Aus der strömten gerade Bundespräsident Horst Köhler und der türkische Außenminister Abdullah Gül. Heftig umzingelt von 30 Bodyguards und 80 Fotoreportern. Am Abend zuvor hatten Köhler und Gül die 60. Internationale Buchmesse eröffnet. Jetzt hinterlassen sie - und alle mit ihnen - die Türkei-Halle als Oase der Ruhe. So bleibt Zeit und Raum, sich dort mit der vielfältigen türkischen Literaturtradition auseinanderzusetzen. In der Ruhe liegt ja bekanntlich die Kraft. Kraft, die man für die nächsten Messetage und -nächte braucht.