Küssende Affen, schmusende Elefanten: Hinter den schönen Bildern des Dokumentarfilms steht die ernüchternde Realität.

Hamburg. Glattwal-Damen sind nur im Spätherbst für kurze Zeit an Bullen interessiert. Löwenmännchen kommen nur zum Zuge, wenn eins der Rudelweibchen brünstig ist. Für eine weibliche Helikopter-Libelle kommt zur Paarung nur ein Männchen mit eigener Pfütze infrage, zur Eiablage. Tiere sind, wie man sieht, durchaus nicht voraussetzungslos von Kopf bis Fuß auf "Liebe" eingestellt.

Der französische Filmemacher Laurent Charbonnier jedoch will in seinem neuen Dokumentarfilm "Animals in Love" eine Welt voller Verführung und vermeintlicher Zärtlichkeit zeigen: knutschende Affen, schmusende Elefanten und bizarr werbende Vogelarten. Charbonnier, der auch Kameramann von "Nomaden der Lüfte" war, hat in 16 Ländern verschiedener Klimazonen gefilmt. Zwischen minus 30 und knapp plus 50 Grad Celsius fing er Szenen ein, in denen Tiere sich mit der "schönsten Nebensache der Welt" beschäftigen. Sind sie also verliebt ?

Eher liegt hier das schönste Missverständnis der Welt vor. Die romantische Liebe, die der Mensch erst seit einigen Jahrhunderten in Balladen besingt und seit noch kürzerer Zeit zu leben versucht, hat in der Welt der Tiere keinen Platz. Deshalb hat der Film, trotz sehenswerter Bilder, auch schon Kritik geerntet.

Für die Sendung "Planetopia" etwa nahm Tierinspektor Frank Chomik vom Duisburger Zoo Filmszenen unter die Lupe, unter anderem eine Balz zwischen Haubentauchern: Sie richten sich im Wasser auf und bewegen sich Bauch an Bauch flügelschlagend über das Wasser - eine beeindruckende Choreografie. Aber: "Nur wer dieses Ausdauer-Balzspiel durchhält, kommt beim Partner zum Zuge. Das ist ein knallhartes Auswahlverfahren, brutal wie bei einer Balletthochschule", sagt Chomik. "Das hat mit Liebe wirklich nichts zu tun."

Auch eine "Kuss"-Szene zweier Gorillas zerrt Chomik ins nüchterne Licht der Tatsachen: Das sei "nichts weiter als Mundraub, auf eine freundliche Art und Weise". Das jüngere der beiden Tiere versuche, die Lippen des anderen zu öffnen, um zwischen dessen Zähnen nach Nahrungsresten zu suchen. Es ist keine prickelnde Vorstellung, dass unsere menschliche Kuss-Kultur womöglich auf das Erschleichen von Vorgekautem zurückgeht, als wir noch Primaten waren.

Leider bleibt der Aufklärungswert in Charbonniers Dokumentation gering. Und das ist in diesem Fall besonders schade. Denn viele Fragen wären wirklich einen neuen Blick wert: Können Tiere lieben? Zu welchen Emotionen sind sie fähig? Und warum? Welche Mechanismen der Bindung und der Partnerwahl hat die Natur begünstigt?

Opfer allzu einfacher Erklärungen waren schon die Feldhasen. Ihre "Boxkämpfe" im Frühjahr, bei denen sie mit den Läufen aufeinander eintrommeln, hielt man für typisches Männchen-Verhalten, um Rivalen zu besiegen und sich die Häsinnen gefügig zu machen. Die Häsin kam bei dieser Macho-Interpretation rein passiv vor, buchstäblich bekloppt. Erst als die Feldhasen-Populationen in den 90er-Jahren dramatisch zurückgingen, erforschte man ihr Verhalten genauer. Und stellte fest, dass die Häsinnen genauso boxen wie Rammler. Denn anders als Kaninchen, die in Großgruppen leben, sind Hasen Einzelgänger. Vor der Paarung muss die Nähe zu Artgenossen erst wieder geübt werden. Das Boxen ist also eine Art ruppiges Annäherungsritual.

Zu den frappierendsten Erkenntnissen der Forscher gehört immer wieder, dass die Natur Werbungs- und Balzverhalten in einer verschwenderischen Fülle von Varianten hervorgebracht hat - während der Paarungsakt als solcher oft kurz und genusslos ausfällt. Der Indische Flaggentrapphahn springt flügelschlagend und krähend bis zu 400-mal am Tag drei Meter hoch, um im hohen Gras ein Weibchen auf sich aufmerksam zu machen. Aus demselben Grund baut der Laubenvogel über Wochen eine Laube aus Zweigen und streicht sie mit dem Saft gequetschter Beeren blau an. Das Weibchen kommt, sieht und wählt, ein paar Momente einfallsloser Sex - der Rest ist Brutgeschäft.

Tiere müssen zur Verführung besondere Flug- oder Turnkunststücke, Düfte, Beutegeschenke, Schmuckmerkmale, Gesänge einsetzen, futterreiche Reviere erkämpfen oder kunstvolle Nester einrichten; und viele schwimme oder fliegen Tausende Kilometer weit, um einen Paarungsplatz zu erreichen. All diese Anstrengungen, einen Partner zu gewinnen, stehen in keinem Verhältnis zur Dauer des banalen Paarungsakts. Warum?

Ausdauernde, hingebungsvolle Sexspiele mit einem Lieblingspartner machen für viele Tierarten keinen Sinn. Sie würden voraussetzen, dass in einem sicheren Umfeld weder Feinde noch Rivalen lauern. Oder dass beide Partner gut genährt sind und über viel überschüssige Energie verfügen. Ganz oben auf der Liste des Selektionsdrucks steht aber die Weitergabe der Gene. Dabei werden durch Hormone zwar auch Empfindungen wie Begehren und Befriedigung begünstigt. Möglicherweise findet es ein Eber ganz toll, eine Sau zu bespringen (Der Sau gefällt es vielleicht auch.). Aber die Natur ordnet diese Befriedigung einem strengen Reglement unter: Es gelten Brunftzeiten, -rituale und Rangordnungen. Gerade in größeren Gruppen kann die Hackordnung einen so starken sozialen Stress erzeugen, dass rangniedere Tiere krank oder unfruchtbar werden. Das ist auch bei unseren nächsten Verwandten so, den Affen, die ein komplexes Sozialverhalten entwickelt haben. Affengruppen leben in Harems aus ein paar Weibchen mit ihren Jungen und einem Männchen, dem Haremsbesitzer. Während geschlechtsreife Söhne die Gruppe verlassen müssen, schließen Töchter, Mütter, Tanten, Schwestern und Kusinen sehr innige und loyale Koalitionen - auch gegen den Haremsbesitzer. Diese Bindungen werden durch ausgiebiges Kraulen hergestellt.

Bei Affen sind im Vergleich zu anderen Säugetieren gerade diejenigen Hirnbereiche größer, die soziale Einschätzungen und Interaktionen verarbeiten. Affen sind also zu intensiven Beziehungen und Freundschaften fähig - aber nicht unbedingt mit dem Sexualpartner. Schimpansinnen entwickeln großes Geschick, ihre Seitensprünge vor dem Haremsbesitzer zu verbergen - aber sie bauen auch mit ihren Liebhabern keine liebesähnliche Beziehung auf. Ihre Welt besteht aus einer knallharten Rangordnung - gemildert durch die Hilfe, den Trost, das Spielen und Vertrauen ihrer Kraulpartnerinnen.

Dennoch haben auch Tiere "geistige Fähigkeiten", wie der Bremer Verhaltensphysiologe und Hirnforscher Prof. Gerhard Roth betont. Denn das menschliche Gehirn habe dieselben Evolutions-Trends erlebt wie das der Affen, Wale, Delfine und Elefanten - vor allem mit der Vergrößerung der Großhirnrinde und des Stirnhirns. Auch diese Tiere haben ein Bewusstsein von sich selbst als "Ich" gegenüber anderen. Sie lernen, werten Erinnerungen aus, planen, kalkulieren Wirkungen ein. Sie können andere durchschauen, animieren, täuschen und terrorisieren. Sie haben Versöhnungsrituale und trauern. Deshalb sind sie auch fähig, zu manchen Artgenossen ein Gefühl wie Liebe zu entwickeln.

Dennoch gibt es keine lebenslangen, innigen Paarbeziehungen zwischen erwachsenen Elefantenkühen und -bullen. Dennoch gucken Affenweibchen beim Begattungsakt oft abgelenkt zum Himmel, so als prüf-ten sie, ob es gleich regnet. So schön die Vorstellung wäre: Verliebte Tiere sind von der Evolution offenbar nicht vorgesehen. In "Animals in Love" können wir beobachten, wie viel wir aus dem Repertoire der Tiere übernommen haben; etwa bei der Balz: Blicke, "Schüchternheit", Hinhalten, Ermuntern ... Aber wenn im Film zwei junge Elefanten zärtlich ihre Rüssel umeinanderschmiegen, sind beide Weibchen. Wenn zwei Giraffen ihre Hälse aneinander reiben und mit ihren Wimpern klimpern, betreiben sie Fellpflege.

Immerhin scheinen es Storchen- und Pinguinpaare zu schaffen, sich über viele Jahre treu zu bleiben. Aber nur der Mensch arbeitet sich unablässig an der Vorstellung ab, dass Liebe zu einem Partner alles umfassen müsse: körperliche Anziehung, geistige Übereinstimmung, Zärtlichkeit, erregender Sex, Treue, Fortpflanzung und Familienleben. Das ist ein hehres Ziel. Noch ist allerdings nicht erwiesen, ob die menschliche Evolution diese Vorstellung belohnt.


Der Film "Animals in Love" läuft im Abaton-Kino, Allende-Platz 3