600 Journalisten diskutierten am Wochenende über Leitmedien, Kampagnen und Online-Aktivitäten der Sender.
Hamburg. Obwohl Friedrich Küppersbuschs Rede "Zur Lage des Journalismus" entfiel, erfuhr man auf der Jahresversammlung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche viel über Lage und Befindlichkeiten der Branche. Wie nicht anders erwartet, war das Thema die Online-Aktivität der öffentlich-rechtlichen Sender. Mit anderen Worten: der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Dieses Wortungetüm, von dem man vor kurzer Zeit nicht gedacht hätte, es jemals unfallfrei über die Lippen zu bekommen, waberte durch die Konferenzräume des NDR, in die sich rund 600 Journalisten drängten - die vielen öffentlich-rechtlichen Mitarbeiter ließen sich schon allein mit der Wahl des Austragungsortes erklären.
Vor dem Hintergrund des am Donnerstag von der Rundfunkkommission der Länder verabschiedeten Entwurfs diskutierten der ARD-Vorsitzende Fritz Raff und Gruner+Jahr-Vorstand Bernd Buchholz zum Thema "Wer darf online - Wer gewinnt den Medienkrieg?", während man sich in den Pausen an den Biertischen Gerüchte zuraunte, wer in Wahrheit was genau mit wem im Internet plane.
Selbst das als Diskussion über Leitmedien angekündigte Podiumsgespräch, das unter anderem Nicolaus Fest ("Bild"), Hans Werner Kilz ("Süddeutsche Zeitung") und Nikolaus Brender (ZDF) bestritten, driftete nach zwanzig Minuten zum Rundfunkstaatsvertrag ab. Zuvor kam man zumindest darin überein, dass es das Leitmedium heutzutage nicht mehr gebe. Wenn es in zehn Jahren um die Frage nach dem Leitmedium geht, prognostizierte Fest, werden vielleicht gar nicht mehr wir hier sitzen, sondern Vertreter von Google und Yahoo. Weniger fatalistisch, im Tenor aber ähnlich, formulierte es Kilz: "Die Frage nach Leitmedien wird zunehmend sekundär - und gleichzeitig bin ich mir sicher: Der Qualitätsjournalismus wird überleben."
Ein Satz, der hoffnungsvoll stimmte und den wohl alle Tagungsteilnehmer gerne unterschrieben hätten. Darüber hinaus gingen die Wahrnehmungen offensichtlich weit auseinander. Beim Disput zwischen Buchholz und Raff über die Internetaktivitäten von privaten und staatlich finanzierten Anbietern konnte der Zuhörer kaum glauben, dass der Gesprächsgegenstand tatsächlich derselbe war: Bedrohung der Pressfreiheit auf der einen, Zensurvorwürfe auf der anderen Seite.
Immer wenn es zu ungemütlich zu werden drohte, unterstrichen alle Podiumsteilnehmer flugs die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und versicherten: Natürlich sollen ARD und ZDF im Internet präsent sein dürfen. Und kaum hatte man sich wieder halbwegs beruhigt, wunderte sich Buchholz: "Warum sprechen eigentlich alle von der Begrenzung der Öffentlich-Rechtlichen? Die Ministerpräsidenten erweitern den Rundfunkauftrag im Gegenteil doch um den Telemedienauftrag. Wer sich erweitern will, kann doch nicht fragen, warum er begrenzt wird?" Fritz Raff lächelte gequält und sah aus, als wolle er am liebsten in den vor ihm stehenden Glastisch beißen. Die Online-Offensive von ARD und ZDF hat sich zur Schicksalsfrage der deutschen Medienbranche entwickelt, die die Lager spaltet - weshalb es völlig in Ordnung ging, dass das Thema die Tagung dominierte.
Aktualität bewiesen die Macher mit Veranstaltungen zur Telekom- und BND-Affäre, in der es die jeweiligen Vertreter - Telekom-Sprecher Philipp Schindera und BND-Präsident Ernst Uhrlau - nicht leicht hatten, sich gegen Georg Mascolo ("Der Spiegel") respektive Hans Leyendecker ("Süddeutsche Zeitung") zu behaupten.
Trotz aller kontroversen Debatten, trotz Gesprächen über "Lokaljournalismus in Not" und "Dunkle Flecken in der Auslandsberichterstattung" - nirgends war der Andrang so groß, wie in den Workshops von Henning Sußebach ("Die Zeit") und Alexander Osang ("Der Spiegel"), in denen sich die Teilnehmer Tipps für Reportagen und Recherchen holten. Vielleicht schienen alle zu hoffen: Die Diskussionen um den Rundfunkstaatsvertrag werden von neuen Diskussionen (und Staatsverträgen) abgelöst. Der gut recherchierte Text aber bleibt. Selbst Friedrich Küppersbusch hätte da wohl nicht protestiert.