“Viele Sachen entstehen in Träumen“: Bei Zigarre und Kräutertee sprach der Rock-Altmeister mit dem Abendblatt über Angela Merkel, Schlafsack-Nächte im Studio, das Alter und den Nutzen von Tarnmützen.

Hamburg. Hochbetrieb in der "Panik-Zentrale", im Hotel Atlantic, wo Udo Lindenberg dauerresidiert. Hits wie "Mädchen aus Ostberlin" und "Sonderzug nach Pankow" haben ihn zur gesamtdeutschen Rock-Legende gemacht. Jetzt erscheint sein neues Album "Stark wie zwei", das erste mit eigenen Songs seit acht Jahren. Und der 61-Jährige hält lässig Hof im edlen Haus an der Alster - mit Zigarre, Red Bull und Kräutertee.

Nach schwächeren Platten in den 90ern klingen viele seiner neuen Songs schon jetzt wie Klassiker. Doch Lindenberg ist alles andere als ein ewig gestriger Retrorocker. Er ist nicht nur die stilisierte Ikone mit Hut und Sonnenbrille. Auf seinem iPhone hört er Gustav Mahler, mit flinkem Finger tippt er SMS ins Handy.

An diesem Sonnabend ist Lindenberg bei "Wetten dass. . ?" zu Gast, um seine Single "Wenn du durchhängst" zu präsentieren. Auf Gottschalks Couch geht er nicht. Kein "Wettpate für Baggerführer", kein "Small Talk mit Paris Hilton". Dafür hat der hauptberufliche Abenteurer mit dem Abendblatt gesprochen - über Tarnungen und Rausch, Hermann Hesse und Angela Merkel.


Abendblatt:

"Eigentlich bin ich ganz anders. Ich komm' nur viel zu selten dazu", singen Sie im Duett mit dem Hamburger Rapper Jan Delay. Wenn Sie die Tür Ihres Hotelzimmers hinter sich schließen, kommt dann erst Ihr wahres Ich zum Vorschein - oder sind Sie sowieso immer eins zu eins Udo?

Udo Lindenberg:

Das ist original und unverfälscht Udo. Natürlich denke ich manchmal: Ewig erkennt mich jeder, ich tarn' mich mal ein bisschen.



Abendblatt:

Wie sieht Ihre Tarnung denn aus?

Lindenberg:

Es gibt Tarnmützen, die den Wind schneiden. Die trag' ich auch nachts, wenn ich jogge. Um die Alster rum. Dann darf ich natürlich auch nicht sprechen. Stimme - sehr verräterisch. Und auch die Mundpartie - schön verdeckt. Ich teste auch rum. Mit Gummimasken.



Abendblatt:

Mit Prominentengesichtern, zum Beispiel von George W. Bush oder Mick Jagger?

Lindenberg:

Nee. Normal. Anonym. Es gibt sehr, sehr gute Gesichter von Maskworld in Berlin. Die sehen täuschend echt aus.



Abendblatt:

Auf der neuen Platte zeigen Sie aber eine ganze Menge eigenes Gesicht. Viele Texte klingen sehr nah dran. Was war die Motivation, nach acht Jahren ein solches Album aufzunehmen?

Lindenberg:

Wir haben die Songs über die Jahre entwickelt - im Gespräch mit meiner Geheimrätin und Soulschwester Annette Humpe, mit Ulla Meinecke und Angelina Maccarone, auch mit Jan Delay. Nachts im Auto rumgefahren, Demos gehört und überlegt: Aha, machen wir doch wieder anders, ja. Und dann hab ich die große Taschenlampe genommen und in die Seele runtergeleuchtet.



Abendblatt:

Und was haben Sie gefunden?

Lindenberg:

Die Exzesse. Was war, was sein wird. Eine Liebe, die ein bisschen erkaltet, wie holt man da neues Feuer rein - wie in diesem Lied "Was hat die Zeit mit uns gemacht". Überhaupt sich aus Gewohnheiten raussprengen. Kesse, freche, überraschende Maßnahmen für sich selber. Abenteurer bleiben. Abenteurer ist ja mein Hauptberuf - in der Musik, aber auch in der Malerei.



Abendblatt:

In welchen Momenten schreiben Sie Ihre Verse auf?

Lindenberg:

Viele Sachen entstehen in Träumen. Oder in Halbwachzuständen. In Trance und so. In so Zwischenzonen. Wo ein bisschen Ruhe ist. Nachts ist immer sehr gut. Nachts in meiner Panik-Zentrale. Oder auch auf Schiffen. Ich fahr' ja gern zur See. Da, in der Abgeschiedenheit der Welt, entstehen Texte. Es entstehen aber auch Texte, wenn ich knietief im Whiskey durch die Gegend wandere. Vieles kommt auch an im Gespräch mit Leuten, die ich kennenlerne im Hotel. Und dann erzählen die mal irgend 'ne Story. Und dann erzähl' ich mal 'ne Story. Völkermord, Religionskriege - auch am Tresen redet man ja über so was. Und so entsteht dann so ein "Interview mit Gott".



Abendblatt:

Der Song, der am eindeutigsten Bezug nimmt, zur Lage in der Welt. Zu Armut, Religion, Medien. Sind das Themen, die den als ultimativ cool gehandelten Udo Lindenberg noch so richtig aufregen können?

Lindenberg:

Ja. Wir tun ja auch was im Rahmen unserer Udo-Lindenberg-Stiftung. Die ist ja in Calw, in Hermann Hesses Geburtsstadt, beheimatet. Wir leisten humanitäre Hilfe und haben eine kulturelle Zusammenarbeit mit Tansania.



Abendblatt:

Beim Hermann-Hesse-Festival in Calw treten ja die Gewinner des Panikpreises auf, den die Stiftung auslobt. Was sind denn für Sie die wichtigsten Kriterien für gute junge Popmusik aus Deutschland?

Lindenberg:

Hesse hat mich sehr inspiriert. Ein schöner großer Spruch von ihm ist ja: Lausche der Weisheit, die dein Blut dir rauscht. Also keine Leute, die sagen: Du musst dich einfügen, anpassen, Schnauze halten. Diese ganze milde Sorte, davon halten wir gar nichts. Wir machen Nachwuchsförderung im Geiste von Hermann Hesse und - sag' ich mal so leger - auch im Geiste der Panik. Panik eckt ja auch an. Viele Sänger, die polarisieren, finden im Radio ja gar nicht statt. Wenn es nach NDR 2 ginge, wüssten die Hamburger gar nicht, dass es überhaupt 'ne neue Platte gibt von mir. Passt nicht ins Format. Genau gegen diese Trends von "nix machen" und "nix riskieren" wendet sich unsere Aktion.



Abendblatt:

War es für Sie ein Wagnis, nach langer Zeit wieder ins Studio zu gehen? Oder war die alte Energie sofort wieder da?

Lindenberg:

Es war sehr energiegeladen. Viele Musikanten waren da. Freunde von Andreas Herbig, der ein super Produzent ist. Wir wussten, wir gehen da nicht hin, um einen Job zu machen. Wir gehen da hin und bringen unser Leben da ein. Ich kam da rein und brachte einen frischen ordentlichen schottischen Landwein mit, schön Whiskey und so. Unterm Mischpult wurde dann nachgeschenkt. Und dann lebte man da. Man lachte, man weinte. Wir schliefen da auch im Schlafsack. Das hat mich erinnert an früher, wie wir die Platten gemacht haben, als es noch keine Computer gab. Dieses Feeling wollten wir auch wieder haben. Also ein bisschen straßenmäßig, ein bisschen schluffi. Schön lässig. Nicht so puderzuckermäßig.



Abendblatt:

Eine Ihrer nächsten Stationen ist das St.-Pauli-Theater, wo Sie mit Intendant Ulrich Waller und Schriftsteller Thomas Brussig ein Udo-Lindenberg-Musical entwickeln. Gibt es schon einen Hauptdarsteller?

Lindenberg:

Nee, gibt's noch nicht.



Abendblatt:

Imitationen von sich zu sehen, dürften Sie mittlerweile gewohnt sein. Oder ist das nach wie vor befremdlich?

Lindenberg:

Ich lach mich tot, wenn Helge Schneider das macht. Jan Delay ist auch ganz gut. Und letztlich gibt es viele andere: Kerkeling, Knör. Ich finde, das ist wie ein Gruß, wie eine Hommage, eine Verneigung vor meiner Stilistik, meinem Sound.



Abendblatt:

Ihren Stil haben Sie mit 61 Jahren perfektioniert. Ist das Lied "Der Greis ist heiß" auch eine Hommage ans eigene Alter?

Lindenberg:

Ich meine mit dem Song Leute, die so Gruftprobeliegen, denen will ich locker in den Arsch treten. Denen will ich sagen: Die Zukunft ist doch ziemlich egal, so lange hast du auch nicht mehr, sei risikobereit, du kannst jetzt richtig schön auf die Sahne klopfen. Wir Rock 'n' Roller haben ja eh ein anderes Lebensgefühl. Der Song ist eine Aufmunterung für andere ältere Leute im Klub der "Sex-iger", sich nicht so hängen zu lassen. Was sollen denn die Kinder denken? Die kriegen ja Angst vorm Älterwerden.



Abendblatt:

Ihr Hit "Sonderzug nach Pankow" feiert 25-jähriges Jubiläum. Ist es für Sie nicht Ironie der Zeitgeschichte, dass das rot-rote Bezirksplenum in Pankow Ende vergangenen Jahres einen CDU-Antrag für ein Fest abgelehnt hat?

Lindenberg:

Das ist eine späte Solidarität mit Honecker. Das sind wohl alte Experten, die in so einem Gemeindeparlament rumhängen und das Lied im Rückspiegel der Geschichte immer noch als nicht verzeihbare Attacke empfinden. Ich kenne leider keine Interna, aber mich befremdet das etwas.



Abendblatt:

Gerhard Schröder ist ein Freund von Ihnen. Haben Sie mit Angela Merkel auch schon mal einen Tee getrunken?

Lindenberg:

Früher mal. Da gibt es auch ein kleines Lied dazu: "Das Merkel ich mir". Da war sie - zu Kohl-Zeiten noch - mal hier in Hamburg. Da soll es ein Techtmechtel gegeben haben.



Abendblatt:

War dem denn tatsächlich so?

Lindenberg:

Na, Angela und ich haben damals gesagt, wir geben es nicht bekannt. Aber ich weiß, dass sie mit Freude an meinen Bildern im Kanzleramt vorbeigeht.



Abendblatt:

Sie beide teilen jedenfalls die Leidenschaft fürs SMS-Schreiben. Wie viele Text-Nachrichten tippen Sie pro Tag?

Lindenberg:

So 100. Wahnsinnig viele Leute kennen meine Handynummer. Ich bin praktisch erreichbar für die gesamte Bevölkerung.



Abendblatt:

So was wie Udos Bürgersprechstunde?

Lindenberg:

Ja, es ist mir wichtig eine Art basisdemokratischen Kontakt zu halten.



Abendblatt:

Praktizieren Sie das typische Udo-Deutsch auch beim Simsen?

Lindenberg:

Ja, Lindiismus allerorten.