Der mit Spannung erwartete Auftakt des neuen Hamburger “Rings“ wurde ebenso heftig bejubelt wie ausgebuht.
Hamburg. Im Schlussbild, in dem Götter siegestrunken am Rande des Abgrunds tänzeln und das Blech selbstberauscht zu dröhnen hat, kann man schon eine vielsagende Geste Richtung Götterdämmerung entdecken. Donner (Jan Buchwald) pflanzt noch schnell ein Bäumchen in einen Topf. Als ob das Unterbewusstsein angesichts des mit Vertragsbruch ertricksten Einzugs in Walhall bereits heftige Bedenken bezüglich des eigenen Überlebens anmeldet. Doch dann, wenn es spannend wird: Vorhang zu vorm Cliffhanger-Panorama. Wiedersehen, Fortsetzung folgt im Herbst, bei der "Walküre".
Mit einer ansehnlichen "Rheingold"-Inszenierung, vom Premierenpublikum in der Staatsoper lustvoll niedergebuht wie gefeiert, legen Regisseur Claus Guth, Bühnenbildner Christian Schmidt und Generalmusikdirektorin Simone Young ein Fundament für die drei Hauptteile des Hamburger "Rings", auf dem man getrost einen kapitalen Weltuntergang aufbauen können sollte. Ihr "Rheingold" ist aber nicht so frontal komisch, so temporeich und ironisiert wie die vor wenigen Monaten gezeigte Lübecker Variante.
Guth zeigt vielmehr eine klar aufgestellte, streng geteilte Welt, in der düstere Dramatik und handfest servierter Humor nah beieinanderliegen dürfen. Eine mythische Welt, in der auf die zeitlosen Themen Machthunger und Geldgier mit Alu-Geldkoffern Marke Liechtenstein aktuell, aber nicht platt Bezug genommen wird. Ein erhellendes Vorspiel mit deutlich sich verdunkelnden Wolken am Horizont. Das Rad wird in dieser Interpretation beileibe nicht neu erfunden, doch es dreht sich ohne größere Reibungsverluste.
Besonders angenehm: Endlich wird das Ensemble in einer Neuinszenierung aus dem Hause Young nicht mehr nur frontal an der Rampe geparkt, wenn's ums Singen geht. Endlich wird auch wieder dargestellt, beobachtet, austariert. Es gibt wieder Musiktheater statt nur arrangierte Bilderbuch-Optiken zu sehen. Und es gibt ein spielfreudiges Ensemble zu besichtigen, das bis auf zwei Ausnahmen (Falk Struckmann als markig dröhnender Wotan mit Bayreuth-Referenz und Jürgen Sacher als Mime) erstmals mit diesen Rollen konfrontiert war. Ein kleiner Part, aber charismatisch besetzt: Deborah Humble als orakelnde Erda. Hellen Kwon wurde für ihre wackere Freia am Ende unverdient ausgebuht.
Youngs sehniges Dirigat, das als rotes Taktstock-Lämpchen in totaler Finsternis begann, musste zu Beginn auch mal deutlich nachjustieren, das Es-Dur-Wogen des Rheins zu Beginn stand den Hörnern bis zum Hals. Im Laufe des Abends entwickelten sich die Philharmoniker aber prächtig; ihre Chefin ließ ihnen sehr wenig durchgehen, blieb sehr nah bei den Sängern und mit Vehemenz bei der Sache.
Die Rheintöchter - von Ha Young Lee, Gabriele Rossmanith und Ann-Beth Solvang hinreißend gesungen und niedlich gespielt - bringt Guth mit einer Überdosis Witz-Absicht als Nachthemd tragendes Teenie-Trio in einem riesigen Fluss-Bett; die beiden Riesen Fafner und Fasolt stapfen als steroidbetankte Kiezgrößen mit Vokuhila-Matte und Goldkettchen über das Miniatur-Wunderland, aus dem ein Mini-Walhall ragt. Tigran Martirossian und Alexander Tsymbalyuk klotzten hier mächtig ran. Loge - ein Part, mit dem sich Peter Galliards konturenarme Stimme am Premierenabend so gar nicht vertragen wollte - scharwenzelt als halbseidener Variete-Zauberer ins Geschehen, nervt damit aber mehr, als dass er Sachdienliches beiträgt. Und Wotans Sippe selbst? Ein spießbürgerlicher Familienclan, dessen Oberhaupt mit Strickjacke den Irish-Moos-Charme eines drögen Sachbearbeiters verströmt, während Gattin Fricka (Katja Pieweck) keifend den Kaffee serviert.
Gegenentwurf dazu ist das schurkische Souterrain. Nibelheim, ein verranzter Heizungskeller, mittendrin Alberich, der dort seinen Allmachtswahn ausbrütet. Zur Verwandlung in den Riesenwurm verschwindet der Alb mal eben hinter Öltank und Trockennebel, auch die von ihm geknechteten Nibelungen muss man sich denken. Macht aber beides nichts, denn Wolfgang Kochs darstellerische Leistung beeindruckte auch ohne Griff in die Bühnenzauber-Trickkiste und wächst weit über das von Regisseuren so gern wörtlich genommene Zwergenformat hinaus. Sängerisch steigerte Koch sich sogar noch, als er den von Wotan gestohlenen Ring verfluchte. Hier entwickelte die Inszenierung ihre packendsten Momente, Gott Wotan und Zwerg Alberich waren auf Augenhöhe. Struckmann und Koch singen sich in todernste Rage. Ein Duell zweier finsterer Charaktere. Der noch Bösere gewann. Diese Runde zumindest. Aber man weiß ja, wie das Elend weitergeht, und wie es endet. Leider erst 2010.