Villazón erzählt von der “Party“, vor 20 000 Fans zu singen, wie er seine Stimme schonen möchte und dass ihm weder kaltherzige noch hymnische Kritiken helfen.

Berlin. Elf Uhr vormittags, oberste Etage des Hotel Hyatt am Potsdamer Platz. Zugang haben hier nur Gäste mit Spezialschlüsseln. Die Geschäftsleute, die hier ein spätes Frühstück einnehmen und an ihren Laptops sitzen, schenken dem Mann im legeren schwarzen Outfit keinen zweiten Blick. Wofür mögen sie ihn halten? Sicher nicht für den Weltstar, der er ist. Zumal der Mann keine Allüren hat. Für seine Kritiker war Rolando Villazón "ein Glückskind": begabt mit der "schönsten Tenorstimme unserer Zeit", vermeintlich "robust". Bis zum Burn-out. Im August 2007 erklärte der Sänger, er werde sich zurückziehen, um seine "ganze Vitalität" wiederzugewinnen. Diese Auszeit ist jetzt vorbei.


Hamburger Abendblatt:

Herr Villazón, wen oder was stellen Sie sich unter einem "dynamischen, kreativen und wandlungsfähigen Kommunikator" vor?

Rolando Villazón:

Einen Künstler.



Abendblatt:

Okay, Sie haben gewonnen. Sie kennen also die PR-Texte, die über Sie verbreitet werden. Wir hätten bei dieser Beschreibung allerdings eher an einen Werbefachmann gedacht. Trotzdem: Schön, dass Sie wieder da sind!

Villazón:

Vielen Dank!



Abendblatt:

Sie haben fünf Monate pausiert. Kurz vor Ihrem Rückzug haben Sie dem Magazin "Opernglas" gesagt: "Ich bin nicht mehr nur ein Sänger, ich bin ein Produkt." Das klang resignativ. Wer hat Sie denn zu dem Produkt Villazón gemacht?

Villazón:

Ich mich selbst. Es ist ja auch nicht schlecht, ein Produkt zu sein, wenn es sich um ein künstlerisches Produkt handelt. Die Klassik hat da vom Pop gelernt. Sie musste vom Pop lernen.



Abendblatt:

Was die Vermarktung der Stars angeht? Warum?

Villazón:

Weil es darum geht, die Kunstform Oper zu retten.



Abendblatt:

Die Oper überlebt seit 500 Jahren, und Sie haben im vergangenen Sommer in einem Interview selbst gesagt, diese "Events" brächten "die Leute natürlich nicht in die Oper".

Villazón:

Das soll ich gesagt haben? Da muss ich wohl nicht ganz richtig zitiert worden sein.



Abendblatt:

Kennen Sie die Mezzosopranistin Vesselina Kasarova?

Villazón:

Ja.



Abendblatt:

Die sagt, sie kenne keinen Kollegen, der gerne in Fußballstadien singe!

Villazón:

Autsch! (Pause) Schauen Sie, ich bin ein Sänger und kein Botschafter. Und wenn ich zwei-, dreimal im Jahr vor 20 000 Menschen singe, dann ist das ein großer Spaß. Eine Party!



Abendblatt:

Die glänzend bezahlt wird. Die Rede ist von 200 000 Euro Gage für das Paket Netrebko/Villazón.

Villazón:

Wie viel?



Abendblatt:

200 000 Euro pro Konzert.

Villazón:

Für ein Stadion? (Pause) Also, ich mag nicht über Geld sprechen. In der Welt der Oper geht es sehr demokratisch zu: Die Opernhäuser haben einen Etat, und ob du Maestro Domingo bist oder Rolando Villazón - da gibt es ein finanzielles Limit. Ein Konzert in einem Stadion ist etwas anderes. Da gibt es Fernsehrechte und Tatatata.



Abendblatt:

Dieses Tatatata hat Ihnen und Anna Netrebko aber nicht nur Freunde gemacht. Als Sie im vergangenen Sommer die "La Traviata"-Vorstellungen in Salzburg absagen mussten, hat der dortige Intendant Jürgen Flimm gesagt, das sei eine gute Gelegenheit, "wieder mehr über Kunst statt über Kommerz nachzudenken". Kränkt Sie so etwas?

Villazón:

In der Kunst kann jeder eine Meinung haben. Wenn jemand also sagt: "Das hat nicht viel mit Kunst zu tun!" - bitte, ich weiß es besser. Natürlich kommen gewisse Leute nur zu den Salzburger Festspielen, um bestimmte Sänger zu hören, aber das hat es immer gegeben, und das ist in Berlin, München oder Hamburg nicht anders. Wenn ich "Quando le sere al placido" aus Verdis "Luisa Miller" in einem Stadion singe...



Abendblatt:

...eine der Arien, die auch auf Ihrem neuen Recital "Cielo e mar" zu hören ist...

Villazón:

Genau. Wenn ich dieses Stück also vor 20 000 Menschen singe, dann singe ich es genauso, wie ich es in einem Opernhaus singen würde. Ich gebe aber zu, dass ein Opernhaus der Ort ist, an dem man diese Arie am besten hören kann.



Abendblatt:

Noch einmal zurück zur Salzburger "Traviata": Der Live-Querschnitt, der 2005 nach der Premiere auf den Markt kam, hieß nicht mehr "La Traviata", sondern "Violetta" und war mit einem lasziven Foto von Anna Netrebko geschmückt. Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, dass das der Sache - in diesem Fall Giuseppe Verdi - dient?

Villazón:

Ich habe damit kein Problem.



Abendblatt:

Aber Sie wissen schon, warum das so gemacht wurde, oder?

Villazón:

Den Menschen gefällt es. (Schulterzucken) Und so lässt sich die CD besser verkaufen. Man hat mich übrigens vorher gefragt, und ich war damit einverstanden.



Abendblatt:

Sie haben fünf Monate ausgesetzt. Wer Sie im Januar in Wien als Werther beziehungsweise als Des Grieux in Massenets "Manon" erlebt hat oder im Februar in Berlin in Verdis "Messa da Requiem", konnte feststellen, dass Sie etwas zurückhaltender gesungen haben als vorher. Vorsichtiger. Es ist Ihnen also offensichtlich doch nicht egal, ob der Preis für Ihr früheres Alles-oder-nichts-Singen - wie Sie "Opernwelt" gerade gesagt haben - "vielleicht eine kürzere Karriere sein wird"?

Villazón:

Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, und ich habe begriffen, dass das, was ich der Musik geben kann, einzigartig ist. Weil jeder Künstler einzigartig ist. Aber ich habe in diesen fünf Monaten auch gesehen, dass Musik und Oper ganz wunderbar ohne mich funktioniert haben. Es ist doch so: Die Musik sagt "Ich bin glücklich, dass du da bist!" Oder sie sagt: "Du kannst nicht singen? Tschüs! Dann nehme ich den da!" Im Augenblick versuche ich das zu tun, was für meine Stimme richtig ist.



Abendblatt:

Verzichten Sie deshalb auf die "Maskenball"-Vorstellungen in Amsterdam?

Villazón:

Ja.



Abendblatt:

Stimmt es, dass Daniel Barenboim Sie überreden will, endlich Mozart zu singen?

Villazón:

Ja, das stimmt. Mit "Don Giovanni" hat es leider nicht geklappt. Aber ich werde 2010 "Idomeneo" in Paris singen und eines Tages vielleicht "Titus". Man lernt ja nicht mit Mozart, Mozart ist ein Ziel.



Abendblatt:

Und Wagners "Lohengrin" ist erst einmal in weite Ferne gerückt?

Villazón:

"Lohengrin" ist ein Traum.



Abendblatt:

Verfolgen Sie, was in den Kritiken über Sie geschrieben wird?

Villazón:

Ja. Es gibt Kritiken, die kalt sind, andere sind hymnisch. Beides hilft einem Sänger selten weiter. Aber es gibt auch Kritiker, die formulieren können, was in mir vorgegangen ist, während ich gesungen habe. Das ist schon sehr erstaunlich. Als französische Kritiker mein Französisch bemängelt haben, habe ich an meiner Aussprache gearbeitet. Kritiker sind ja wie die Polizei. Manchmal mache ich etwas nach dem Motto: "Das mache ich jetzt, weil ich weiß, dass du es nicht magst!" Ich singe Barock, auch wenn dieser Experte sagt, dass meine Stimme nicht für Barockmusik geeignet ist. Ich singe es. Trotzdem singe ich es!



Abendblatt:

Sie haben im Februar mit Anna Netrebko in Wien eine "La Boheme"-Verfilmung abgedreht, unter der Regie von Robert Dornhelm. Wann kommt der Film ins Kino?

Villazón:

Das steht noch nicht ganz fest, ich denke, im Herbst wird es so weit sein. Lassen Sie mich dazu noch sagen: Die Dreharbeiten haben mir sehr viel Vergnügen gemacht, aber ich bin sehr glücklich, dass ich ein Opernsänger bin und kein Schauspieler.



Abendblatt:

Die vielen Fans, die Sie unter anderem in Deutschland haben, werden das genauso sehen! Vielen Dank für das Gespräch.