Komponisten, Textdichter, Veranstalter und Plattenfirmen-Chefs diskutierten über neue Netzwerke der Pop-Branche.

Hamburg. "Warum schmust Du nie mit meinem Gehirn?", fragt die Hamburger Band "Die Zimmermänner". Teilnehmer des zweiten Musikkongresses "Operation Ton" konnten da ganz real zur Tat schreiten. Denn am Eingang des Westwerks verteilten die Initiatoren des Vereins RockCity kleine Erste-Hilfe-Pakete, die wahlweise Hirn (für Musiktheoretiker), Herz (für Liebhaber) oder Nase (für rauschhaft Aktive) als Gummi-Miniaturen enthielten.

Sinn für Humor ist der Rock-, Pop- und Subkultur-Szene also noch nicht abhanden gekommen, obwohl die Einnahmen im operativen Geschäft bei den meisten sehr weit unter Chirurgen-Gehalt liegen. Anbei lag daher auch ein roter Strick - wenn alle Stricke reißen. Doch griffen die 60 Hamburger "Patienten" - Komponisten, Textdichter, Musiker, Label-Chefs, Konzertveranstalter und Regisseure - zum Glück nicht zum letzten Mittel, sondern ließen sich ihre Denkapparate in fünf Vorträgen neu verschalten. Eine Art Hirn-Liebkosung durch Information und Inspiration. Und wer "Hunger nach mehr" hatte, wie Moderator und Kampnagel-Dramaturg Andras Siebold es formulierte, durfte mit dem ebenfalls gereichten Plastikknochen wedeln, um mitzudiskutieren.

Immer wieder ging es um die Frage, wie mit Musik noch Geld zu verdienen (beziehungsweise das Überleben zu sichern) sei - angesichts der Tatsache, dass die CD-Verkäufe im Jahr 2007 weltweit nochmals um 15 Prozent gesunken sind. Allein über die Wunde zu jammern hilft nicht.

Bei der "Operation Ton" wurde rasch klar, dass Netzwerke und neue Querverbindungen probate Heilmittel sind. Auch Referent Tobias Röger betonte, wie wichtig es sei, mehrere Standbeine zu haben. Der Songschreiber verlässt sich nicht nur auf den Autorenvertrag bei Universal, wo er für Pop-Stars wie Christina Stürmer dichtet. Er hat eine neue Band und ein Label gegründet. Und gibt Gesangsunterricht. Dieses Statement passte zu den Ausführungen von Volker Grassmuck, Medienforscher am Lehrstuhl für Informatik und Gesellschaft an der Humboldt-Uni Berlin.

Im Schnitt erwirtschafteten Popmusiker 80 Prozent ihres Einkommens über das Unterrichten, erklärte Grassmuck. Neben solch klassischen Wegen des Broterwerbs, zu dem auch CD-Verkäufe zählen, zeigte er zahlreiche neue Wege auf, Musik zu vermarkten.

Diese Modelle überraschten umso mehr, als dass sie vorsehen, die Lizenzen der Werke frei zur Verfügung zu stellen. Eindrucksvollstes Beispiel ist wohl Radiohead, die ihr Album "In Rainbows" im Internet anboten und es den Fans überließen, ob sie zahlen. Rund zehn Millionen Dollar hätte die Band so verdient, meinte Grassmuck. Auch die Kunden von Magnatune bewiesen, dass ihnen Musik im Download-Zeitalter noch etwas wert sei. Die US-Firma, die Künstlern 50 Prozent Gewinn bietet, lässt die Hörer auf ihrer Webseite entscheiden, wie viel sie für ein Album zahlen möchten. "Nicht der niedrigste Betrag wird am häufigsten angeklickt, sondern acht Dollar."

Unkonventionelle Ideen funktionieren aber auch jenseits der virtuellen Welt. Die Produzenten des brasilianischen Techno Brega - ein Mix aus Techno und Calypso - geben ihre Songs an Raubkopierer und Straßenhändler frei. Ihre Erlöse erzielen sie mit Partys, bei denen die Stars der Szene auftreten. Die Musik sei im Bundesstaat Para die zweitgrößte Einnahmequelle nach Kautschuk.

Über Innovationen der Musik-Rezeption wurde bei der "Operation Ton" ebenfalls nachgedacht. So schlug Journalist Andre Boße ("Galore", "Visions") vor, nach dem Vorbild von Museen sogenannte Pop-Places einzurichten. Orte, an denen keine Gemälde ausgestellt würden, sondern Musikwerke. Vorstellbar sei, dass ein Kurator zunächst in die Arbeit einer Band einführe, dann kollektiv das aktuelle Album angehört würde und DJs anschließend deren alte Songs auflegen.

Wie sich Theater und Musik befruchten können, zeigte Veit Sprenger. Seine Performance-Gruppe Showcase Beat Le Mot erarbeitete mit der Band Kante Musikvideos, die weder Songtexte nur nacherzählen noch einfach auf tanzende Körper setzen, sondern experimentelle Situationen inszenieren, etwa ein Fußballspiel mit verbundenen Augen.

Auch die Computermusikerin Sarah Bogner veranschaulichte, dass Euphorie für Pop über das Unperfekte transportiert werden kann. Die Münchnerin setzt sich über die vorgefertigten Klänge hinweg, die die Industrie Instrumenten verleiht, und baut Kinder-Keyboards so um, dass diese bei Lichtreizen tuckernde Geräusche absondern. "Circuit Bending" heißt die Technik. Bogner nennt es: "Schaltkreise ins Chaos versetzen." Ein durchaus inspirierender Zustand, den auch die Hirne der "Operation-Ton-Patienten" erreicht haben dürften.