Verleger Klaus Humann erzählt, wie der zauberhafte Erfolg fürs gesunde Wachstum auf einem Muggel-Markt genutzt wurde.

Hamburg. Bei der Frankfurter Buchmesse musste der Carlsen Verlag seine Potter-Bücher festkleben. Andernfalls wäre die Dekoration innerhalb kurzer Zeit vom nicht zahlenden Publikum weggezaubert worden. Der Clou an der Geschichte: "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" erscheint erst morgen - auf der Messe war nur der Einband echt, der Inhalt aber bot ausschließlich sorgfältig gebundene Blanco-Seiten.

Carlsen hat in Frankfurt dennoch einige Potters eingebüßt. Was gut zur Vorstellung eines Verlages passt, dem derzeit fast alles aus den Regalen gerissen wird, was er dort hinstellt. Seit dem noch bescheidenen Start von "Harry Potter und der Stein der Weisen" im Juli 1998 mit zunächst 8000 Exemplaren ist die Erfolgsgeschichte von Carlsen beispiellos. Die deutsche Gesamtauflage der Reihe dürfte schon bald nach dem morgigen Erscheinen des finalen siebten Bandes auf 30 Millionen Exemplare klettern. Was an einen Zauberschüler denken lässt, dem die Eltern in einem Verlies der Koboldbank Gringotts stapelweise Goldmünzen hinterlassen haben, sodass er sich keine Gedanken mehr um sein Auskommen machen muss.

Klaus Humann wäre schon rein äußerlich keine schlechte Besetzung für die Rolle eines erwachsenen Harry Potter. Der Verlagsleiter hat zudem Humor, Fantasie, Mut und zweifellos ein magisches Händchen. Aber andererseits ist er seriöser Muggel genug, sich vom Erfolg nicht berauschen zu lassen. "Im Moment funktioniert alles, aber darauf können wir uns nicht verlassen", sagt er. "Doch wir sind gut gerüstet für die nächsten Jahre." Carlsen hat beispielsweise schon 2001 durch den Kauf der Sansibar-Reihe von Sauerländer die Basis für ein eigenes Taschenbuch-Programm erworben, um die eigenen Buchrechte noch besser nutzen zu können.

Es ist jedoch nicht so, dass der Verlag, der in einem kleinen Gewerbehof in Ottensen zu Hause ist, seine Zukunftssicherung lässig aus der Potter-Kasse bezahlen könnte. Carlsen ist eine Tochter der schwedischen Verlagsgruppe Bonnier, zu der auch Piper und Ullstein gehören, muss also Überschüsse abführen. Bonnier aber hat mit Verlagsneukäufen (Thienemann, ars edition) so reinvestiert, dass Carlsen durch attraktive Rechte (Ottfried Preußler, Michael Ende) für sein Taschenbuch-Programm davon profitiert.

Humann, der im Sommer 1997 durch sein überzeugendes Konzept Harry Potter für Carlsen gewonnen hat, obwohl Konkurrenten höher boten, möchte den Verlag nicht allzu sehr mit der einmaligen Zauberei auf dem Buchmarkt identifiziert sehen. "Wir sind in dieser Zeit deutlich gewachsen", erzählt er. "Vorher hatten wir knapp 35 Mitarbeiter, heute etwas mehr als 80. Der Zuwachs hat aber nichts mit Potter zu tun, nur eine zusätzliche Stelle ist durch ihn entstanden; viel Personal ist dagegen durch das Manga hinzugekommen." Carlsen bringt inzwischen jährlich 220 neue japanische Comics heraus. Und verdient, wie Humann betont, mit dem Comic-Bereich, in dem der Verlag traditionell stark ist ("Tim und Struppi", "Spirou"), endlich auch wieder Geld.

Die vielleicht größte magische Leistung, die Harry Potter vollbracht hat, ist der Wandel, den er auf dem Buchmarkt eingeleitet hat: Zuvor war nicht vorstellbar, dass Kinderbücher auf Bestsellerlisten mit Erwachsenentiteln konkurrieren. "Belletristische Verlage haben es jetzt deutlich schwerer", sagt Humann. "Unser Marktsegment hat deutlich zugelegt." Wie im Kino gibt es auch im Buchhandel einen Trend zu All-Age-Titeln: "Das hat die Branche durcheinandergeschüttelt."

Mit dem Erfolg sind jedoch auch die Preise gestiegen. "Harry Potter hat den Wert von Kinderbuchlizenzen verteuert. Wenn wir früher mit 3000 bis 5000 Euro rechnen konnten, dann müssen wir heute von 15 000, 20 000 Euro ausgehen." Doch Carlsen ist, was Image und Kapital angehen, inzwischen einer der größeren Player: "Ende der 90er-Jahre waren Lizenzverhandlungen für uns schwieriger. Ich musste erklären, wer Carlsen ist. Aber wenn man Erfolge wie Potter und Pullman vorzuweisen hat, dann ist man attraktiv als Partner. Heute werden uns interessante Bücher direkt angeboten. Und wenn wir ein Buch haben wollen, kriegen wir es auch."

Erwachsen geworden sind Kinder- und Jugendbuch auch, was die Gesetzmäßigkeiten des Marktes anbelangt: "Im Halbjahresrhythmus ist alles von den Tischen. Der Buchhandel verständigt sich mehr und mehr auf weniger Titel, und was in England und den USA läuft, das hat auch bei uns Erfolg." Mit der Konsequenz, dass sich die Verlage auf zwei, drei Spitzentitel pro Programm konzentrieren. Dennoch glaubt Humann, dass auch andere Titel im Windschatten vom Erfolg profitieren. "Wir leisten uns ein umfangreiches Lektorat, weil das auch Anstöße gibt. Die Auslagerung wäre kostengünstiger, aber überraschende Programmideen gingen verloren, und Autoren sind bei hauseigenen Lektoren besser aufgehoben."

Neueste Investition in die Zukunft sind bei Carlsen die demnächst startende Sachbuchreihe Pixi-Wissen, Wimmel- und Wörterbücher sowie der Bereich Humor und Cartoon, für den ein Programmleiter von Eichborn engagiert wurde. Auf Experimente mit neuen Medien will sich Humann nicht einlassen: "Wir verstehen was von Papier, aber schon bei Zeitschriften lassen wir die Finger weg. Lieber investieren wir in Autoren und Illustratoren sowie gute Lizenzkontakte." Das Besondere am Verlag bringt er in ein Bild, das jedem Kind einleuchtet: "Das Geniale an Carlsen ist, dass der Verlag kein eindeutiges, klares Profil hat, sondern eine riesige Wundertüte ist: Von unseren Programmen darf man Überraschungen erwarten."