HAMBURG. In der Regel ist es ja so: Wer nicht nur Stunden nach der vereinbarten Zeit, sondern auch noch haubitzenvoll an seinem Arbeitsplatz erscheint, wird, wenn er Glück hat, mit einer Abmahnung nach Hause wanken. Die Wahrscheinlichkeit, dass man ihn stattdessen jubelnd begrüßt und sein kaum zu ignorierendes Lallen höchstens als liebenswerte Macke belächelt, dürfte doch eher gering sein.

Zum Glück ist Amy Winehouse Popstar von Beruf. Und gehört somit einer Branche an, in der Tugenden wie Pünktlichkeit oder der maßvolle Umgang mit flüssigen oder pulverisierten Substanzen keine zwingenden Einstellungsvoraussetzungen sind. Der gute Ton ist hier immer noch der, der am Ende aus den Boxen kommt - und was auch immer Miss Winehouse kurz vor ihrem Hamburg-Konzert im ausverkauften CCH so alles geschluckt haben mag: Diesen Ton hat sie getroffen. Meistens jedenfalls.

Aber das muss man nicht so eng sehen. Immerhin ist sie - nach zwei abgesagten Anläufen - überhaupt gekommen. Und vermutlich dauert es seine Zeit, bis man sich in einen derart knap-pen, derart pinken Korsagenschlauch gezwängt und die Peggy-Bundy-Frisur angemessen zum Beehive aufgetufft hat. Auch musikalisch überträgt sich der winehousesche Schlampenglamour aufs Allerfeinste: Noch schwüler und lasziver als auf Platte wirken ihre schwarz- soulige Charakterstimme und der versoffen-motownige Sound. Es hat etwas Verruchtes und gleichzeitig Verlorenes, wie sie sich so durchs Repertoire singt, von aufreizend langsamen Rhythmen zu ungewohnt temporeichen Passagen wechselt wie beim Titelsong des aktuellen Albums "Back to black". Vertonter Sex.

Zwischendurch zubbelt sie die Korsage zurecht, quetscht die Brüste in Form und grinst dankbar zu den schnuckeligen Backgroundsängern, die im Bedarfsfall auch bei Texthängern oder verpasstem Einsatz aushelfen. Als das Konzert nach einer guten Stunde viel zu schnell vorbei ist, das Longdrinkglas geleert und auch der Mikroständer keinen echten Halt mehr bietet, fängt Ehemann Blake seine leicht derangierte Gattin knutschend am Bühnenrand auf. Feierabend.