“Die ,Jungfrau von Orléans' kann doch auch nicht nur von Jungfrauen dargestellt werden“, sagt Wibke Bruhns, deren Vater die Nazis ebenfalls hinrichteten.

Hamburg. Als Ben Kingsley 1982 die Hauptrolle in "Gandhi" spielte, waren viele Inder damit zunächst unzufrieden. Ihr Nationalheld - verkörpert von einem Briten! Kingsley, Sohn eines indischstämmigen Arztes, hatte nie in Indien gelebt. Könnte er Gandhis Entwicklung vom jungen Anwalt zum Vorkämpfer der indischen Unabhängigkeit überzeugend darstellen? Oder Gandhis Philosophie des Satyagraha verstehen, die Suche nach Wahrheit, Liebe und Gewaltfreiheit? Was immer Kingsley verstand oder nicht verstand: "Gandhi" wurde ein Welterfolg, erhielt acht Oscars und vermittelte Millionen Zuschauern mehr über den Freiheitskampf Indiens, als alle Bücher zusammen.

Tom Cruise ist nicht Ben Kingsley. Aber das Beispiel zeigt, dass der Film "Valkyrie" über den Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg nicht das erste Filmprojekt ist, um dessen Thema oder Wirkung erbittert gestritten wird. Schon 1979 wurde der US-Serie "Holocaust" vorgeworfen, sie stelle die Judenvernichtung als Spielfilm mit einer Love-Story dar - sie wurde im deutschen Fernsehen ein beispielloser Erfolg.

Worum geht es in der Stauffenberg-Diskussion? Um künstlerische Fragen wie die beste Besetzung der Hauptrolle? Um die innere Glaubwürdigkeit von Tom Cruise, und wer will die beurteilen? Oder geht es darum, wie souverän wir unsere Geschichte mit anderen teilen? In Berlin hat man derzeit den Eindruck, dass es nur um eins geht: um die Abwehr von Scientology mit Mitteln der Kulturpolitik und der "Filmkritik". Das kann nicht gut gehen, und glaubwürdig ist es auch nicht.

Die Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit ist für die Deutschen das schmerzhafteste, am meisten von Scham überschattete Thema, seit die Bundesrepublik besteht. Erst seit den 1960er-Jahren haben die Deutschen sich durchgerungen, die Hitler-Attentäter als Widerständler zu würdigen: als einzige Gruppe, die "aufrechte Deutsche" zu repräsentieren scheint. Deshalb stellt man sie abgeschirmt und korrekt erklärt in Gedenkstätten unter Artenschutz.

Dies kollidiert nun mit dem erklärten Willen der Scientology-Sekte, sich mithilfe ihrer "Celebrities" wie Tom Cruise oder John Travolta aus ihrem Image-Tief zu befreien. Die Sekte, die wegen ihrer demokratiefeindlichen und elitären Lehren vom Verfassungsschutz beobachtet wird, will von ihrem neuen, großen Zentrum in Berlin aus einen offensiven Werbefeldzug starten.

Wenn Politiker, Sektenbeauftragte und Gedenkstättenleiter jetzt das Schreckgespenst "Hollywood" ins Feld führen, meinen sie in Wahrheit das Schreckgespenst Scientology. Um Stauffenberg wird ein Schutzzaun gezogen: Drehgenehmigungen für historische Orte wie den Bendlerblock, in dem er hingerichtet wurde, und eine Kreuzberger Polizeiwache werden nicht erteilt. Erst hat Berlins Bürgermeister Tom Cruise mit allen Ehren willkommen geheißen - jetzt will Wowereit den Amerikaner lieber nicht mehr empfangen. Politiker aus CDU, SPD und FDP sind sich selten so einig: Cruise in der Rolle Stauffenbergs sei untragbar. Auch nach Meinung des Leiters der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Peter Steinbach, darf "eine historisch wichtige, wertvolle, als Orientierung dienende Persönlichkeit", die sich mit dem Anschlag auf Hitler "antiautoritär" entschieden habe, nicht an einen "Superman" und Scientologen wie Cruise gekoppelt werden.

"Ein Gedenkstättenleiter sollte bei seinen Leisten bleiben", sagt dagegen die langjährige ZDF-Journalistin und "Stern"-Korrespondentin Wibke Bruhns, deren Vater Hans Georg Klamroth als Mitwisser des Attentats vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. "Hier Scientology ins Feld zu führen halte ich für Unsinn. Die ,Jungfrau von Orleans' kann doch auch nicht nur von Jungfrauen dargestellt werden. Ob Cruise Moslem ist oder Scientologe, hat nichts damit zu tun, ob er eine gute schauspielerische Leistung abliefert oder nicht. Die müssen wir hinterher beurteilen."

Bruhns, die ein berührendes Buch über das Schicksal ihres Vaters schrieb ("Meines Vaters Land"), versteht, dass Angehörige Verfilmungen ablehnend gegenüberstehen: "Ich hätte auch geschluckt, wenn Tom Cruise meinen Vater hätte spielen wollen. Aber Stauffenberg ist eine Figur der Zeitgeschichte. Wir können uns doch nicht dagegen wehren, dass Menschen auch in anderen Ländern das für ein wunderbares Thema halten. Dann hätte Chaplin ja auch seinen Hitler-Film nicht machen dürfen."

Inzwischen hat FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher daran erinnert, dass Stauffenberg als Mitglied des mystizistisch-geheimbündlerischen "George-Kreises" nicht die leuchtende Idealfigur war, als die ihn viele gerne sehen würden: "Der wahre Stauffenberg dürfte heute selbst Stauffenberg nicht spielen - aus ideologischen und gesinnungsethischen Gründen."

Wer darf wen spielen? Bruno Ganz ist kein Nazi, aber er hat in "Der Untergang" einen beklemmenden, oscarreifen Hitler gespielt. Ulrich Mühe ("Das Leben der Anderen") ist kein Stasi-Spitzel. Tom Cruise hat in Filmen wie "Eine Frage der Ehre", "Top Gun" oder "Rain Man" keine Werbung für Scientology gemacht. Wer Scientology eindämmen will, muss es politisch tun. Eine Filmstadt macht sich mit Angriffen gegen Hauptdarsteller und Drehverboten lächerlich.