Mit 26 Songs, teils in strömendem Regen: Der 51-Jährige begeisterte in der Arena.

Hamburg. Der "Mensch" steht im Zentrum: Bei einem wie Herbert Grönemeyer ist es kein dramaturgischer Zufall, dass er dieses Lied exakt in die Mitte seiner Konzerte stellt. Denn irgendwie dreht sich bei ihm, dem Menschenfreund und -kritiker, ja immer alles um diese Spezies, um ihre Stärken, Schwächen, Verfehlungen, um individuelle Schicksale oder das Leben (und Sterben) in der Paarbeziehung.

Der Mensch also als roter Faden und Halbzeit-Hit, der nur einer von vielen Höhepunkten des knapp dreistündigen Marathons war, den am Sonnabend 40 000 begeisterte Besucher (und gestern knapp noch einmal so viele) in der ausverkauften Arena am Volkspark feierten. Denn Grönemeyer ist ihr gutes Gewissen, weil er den Politikern ein schlechtes macht, weil er miese Pharmakonzerte anprangert und um "Deine Stimme gegen Armut" wirbt.

Kurz vor dem Abschluss der 23-Konzerte-Tournee hätte man Nachsehen haben müssen mit Grönemeyer, hätten sich Erschöpfungserscheinungen bemerkbar gemacht: Es gibt nicht viele (deutsche) Künstler, die sich so kompromisslos kräftezehrend durch ein 26 (!) Songs starkes Programm mit drei Zugabeblöcken ackern. Aber Verschleiß scheint ein Fremdwort zu sein für den 51-Jährigen, der sich druckvoll wie am ersten Tourtag durch seine Texte nuschelt, grunzt, quiekt, schreit und ja: irgendwie auch singt. Der dazu rennt (wahrscheinlich reißt Grönemeyer mehr Kilometer pro Konzert ab als Mick Jagger), posiert, tanzt - alles ohne allzu große Bewegungsbegabung.

Er lässt seine Fans nicht im Regen stehen (von dem es am Sonnabend reichlich gab), sondern gesellt sich zu ihnen - "Hallo, Hamburch! Ja, jetzt singt! Wunderbar! Unglaublich! Unfassbar!" - sprintet über den klatschnassen Laufsteg auf die Satellitenbühne inmitten der Menschen und macht gnadenlos gegen sich und andere weiter: Zwischen dem Opener "Leb in meiner Welt" und dem Schlussakkord von "Zur Nacht" sind viele Lieder vom jüngsten Album "Zwölf" und alle großen Hits zu erleben.

Dass ausgerechnet beim in die Großwetterlage passenden "Land unter" die Wolkendecke aufbricht und ausnahmsweise mal den Blick auf ein "Stück vom Himmel" freigibt, bleibt eine zufällige amüsante Fußnote des Konzerts, das eine opulente (14 Musiker, darunter sechs Streicher), aber notwendigerweise auch stringent durchgeplante Inszenierung ist: Ob in Leipzig, Berlin oder Hamburg, immer zur gleichen Zeit und zu den gleichen Songs kokettiert Grönemeyer mit seinen vermeintlichen Textschwächen, mit seinem dünnen Haar oder dem nicht eben athletischen Körperbau. Das mag man ebenso lächerlich finden wie Grönemeyers stimmliche Ausflüge in fiese Falsett-Lagen, aber so mögen's seine Fans eben. Und mit den eigenen Unzulänglichkeiten lässt sich natürlich "Männer" trefflich anmoderieren.

Aber dieser Song offenbart auch gleich eine der wenigen Schwächen: Die Qualitäten der soliden bis herausragenden Musiker versinken zu oft im schwer zu optimierenden Stadionsound; nur während der intimeren Akustik-Sets ("Land unter") oder einiger Soli können Leute wie Saxofonist Frank Kirchner zeigen, was sie wirklich draufhaben.

Aber darum geht es in der Arena ja auch gar nicht. Es geht um erdig-ehrlichen Breitwandrock ("Vollmond"), um überraschend dynamischen Blues ("Flugzeuge im Bauch"). Es geht ums Mitsingen, den kollektiven Taumel der Begeisterung, um die ganz große Oper, wie sie Grönemeyer noch einmal mit der WM-Hymne "Zeit, dass sich was dreht" dirigiert - 40 000 sind Wachs in seinen Händen, folgen seinen Anweisungen wie in Trance. Da haben sich dann die Verse aus "Leb in meiner Welt" endgültig bewahrheitet: "Ich sag dir, was du willst, du sitzt einfach still, weil ich rede jetzt . . ."