Ist es Langeweile? Lockt das Geld? Warum es viele große Bands der 70er und 80er zurück auf die Bühne zieht - und es andere Reunions nie geben wird.

Vancouver. Eine Keilerei wie 1983 im Shea Stadium von New York gibt es diesmal nicht. Damals hatte Police-Schlagzeuger Stewart Copeland Sting zwei Rippen gebrochen (weil der ihm ein Exemplar der "New York Times" aus den Händen gerissen hatte). Ein Triumph wurde der Auftritt vor 70 000 begeisterten Fans dennoch. Jetzt, 24 Jahre später, stehen 20 000 Kanadier im General Motors Place von Vancouver kopf, denn die drei "Polizisten" sind zurück. Am Pfingstmontag eröffneten Gordon Sumner alias Sting, Stewart Copeland und Andy Summers ihre Reunion-Tour.

Dass The Police sich wiederzusammengetan hat, kam überraschend. Noch im vorigen Jahr hatte Sting die Möglichkeit weit von sich gewiesen und gesagt: "Ich bin stolz auf die Band, die wir waren. Aber ich muss die Vergangenheit nicht wiederaufleben lassen." Es gebe keinen Grund für eine Reunion. Gitarrist Andy Summers war da anderer Ansicht, denn offiziell wurde The Police nie aufgelöst. "Wir brauchen ein ordentliches Ende, um uns auch psychisch davon verabschieden zu können. Es ist wie eine offene Wunde, die immer ein wenig blutet." Jetzt hat er seinen Willen bekommen. Sting sah offensichtlich in einer Police-Tour eine größere Herausforderung, als ein weiteres Album mit Lautenmusik aufzunehmen.

Gerade für eine früher so mega erfolgreiche Band wie The Police ist es durchaus ein Risiko, noch einmal mit den alten Songs an den Start zu gehen. Aber in Vancouver ist nichts davon zu spüren, dass mehr als zwei Jahrzehnte seit dem letzten gemeinsamen Auftritt am 15. Juni 1986 in New Jersey vergangen sind. Mit "Message In A Bottle" geht die zweistündige Show los. Sting betritt die Bühne in T-Shirt, enger schwarzer Hose und hochgeschnürten Doc-Martens-Stiefeln und erinnert in diesem Outfit an die Frühphase der Band: 1977 fand sie in London zusammen, nachdem Copeland Sting mit dessen früherer Band gesehen hatte und begeistert war. Damals war Punk die Musik der Stunde und The Police die erste Post-Punk-Band. Mit ihren verschleppten Reggae-Rhythmen, dem Rocksound und den poppigen Melodien traf sie schon mit ihrem Debütalbum "Outlandos D'Amour" den Geschmack der Massen.

30 Jahre und 50 Millionen verkaufte Platten später scheinen die Fans in Vancouver geradezu nach "So Lonely" und "Roxanne" zu gieren. Als "Roxanne" endlich als letzter Song vor den Zugaben ertönt, reißt es im General Motors Place auch den Letzten von den Sitzen. Drei Viertel des Publikums in der komplett bestuhlten Eishockey-Arena verfolgen das komplette Konzert sowieso im Stehen.

Mehr als 200 Dollar haben die Zuschauer für ihre Tickets bezahlt, doch niemand wird diesen hohen Preis bedauert haben. Im Gegenteil: Vielleicht sind diese drei exzellenten und erfahrenen Musiker gemeinsam nie besser gewesen als jetzt, im Jahr 2007.

Die Zeit der hitzköpfigen Kämpfe - vor allem zwischen Copeland und Sting - sind lange vorbei. Keine handfesten Auseinandersetzungen mehr hinter der Bühne, keine Eifersüchteleien mehr darüber, wer der Alpha in der Band sein soll. Copeland war bereits 1979 frustriert über Stings immer größer werdende Dominanz, später warf er ihm sogar "Diktatur" vor, weil Sting vor allem eigene Songs auf die gemeinsamen Alben nahm. Der wiederum bemerkte abschätzig über die Songschreiberqualitäten seiner Kollegen: "Ich muss den Mist doch singen."

Diese Gefechte vergangener Jahre sind beigelegt. Es wäre auch geradezu lächerlich, wenn die beiden distinguierten Mittfünfziger mit Fäusten aufeinanderlosgehen würden. Auf der Bühne herrscht jedenfalls eitel Sonnenschein. Sting, Summers und Copeland strotzen vor Energie und Spielfreude und lassen keinen ihrer großen Abräumer aus: "Can't Stand Losing You", "Every Breath You Take", "Every Little Thing", "Material World", "Driven To Tears", selbst das etwas stupide "De Do Do Do, De Da Da Da". Neue Songs gibt es keine, aber auch das ist sicherlich ein Grund für den Erfolg im Vorfelde: Die Nordamerika-Tournee ist so gut wie ausverkauft, weil die Fans wissen, dass sie ein komplettes Best-of-Programm bekommen.

Bei allem Spaß, den die drei auf der Bühne haben, wird ihnen diese Wiederauferstehung auch mit riesigen Gagen versüßt. In Deutschland muss man für Police-Karten etwa 120 Euro hinblättern, nur die Rolling Stones haben als Rockband mit Kartenpreisen von bis zu 180 Euro bisher mehr Geld verlangt. Aber geschäftstüchtig waren Sumner, Copeland und Summers schon immer. Schon vor ihrem Debütalbum "Outlandos D'Amour" vereinbarten sie mit ihrer Plattenfirma A&M keinen hohen Vorschuß, sondern höhere Tantiemen. Damit entgingen sie der Gefahr, sich gegenüber der Plattenfirma zu verschulden, wenn nicht genug Platten verkauft würden. Das Debütalbum mit den Singles "So Lonely", "Roxanne" und "Can't Stand Losing You" wurde gleich zum Bestseller. Allein 1979 verkauften sie fünf Millionen Singles und zwei Millionen Alben.

Reunions rechnen sich - aber es gibt auch andere Gründe für Bands der 70er und 80er, es noch einmal zusammen zu versuchen. Dass Genesis noch einmal auf Tour geht, hat vor allem mit Langeweile zu tun. Wenn man sein halbes Leben lang gewohnt war, sich vor Publikum zu produzieren und zu riskieren, reicht es zum persönlichen Wohlbefinden nicht, zu Hause zu sitzen, Soundtracks zu schreiben oder klassische Musik zu komponieren - wie es Keyboarder Tony Banks von Genesis getan hat.

Auch Iggy Pop denkt nicht ans Aufhören - er hat die Stooges in diesem Jahr reformiert, weil seine früheren Mitstreiter ihm lange in den Ohren lagen und er sie spät noch einmal an dem Ruhm teilhaben lassen wollte, den nur er eingefahren hat.

Bemerkenswert war im vergangenen Jahr auch, dass The Who nach zwei Dekaden ins Studio zurückgekehrt ist, um ein neues Album aufzunehmen. Wenngleich Sänger Roger Daltrey hinterher maulte, dass er allein singen musste, ohne Band. "Er ist eben nur der Sänger", war Pete Townshends lapidare Entgegnung.

Andere Reunions, von denen viele Fans träumen, wird es jedoch nie geben, egal wie viel Geld Tourneeveranstalter oder Festivalorganisatoren auf den Tisch legen. Noch einmal The Jam oder The Smiths auf Tour? Undenkbar - deren Hauptfiguren Paul Weller und Morrissey sind mit ihren früheren Kollegen derart zerstritten, dass nicht einmal Gagen in Millionenhöhe sie zu diesem Schritt bewegen könnten.

Den Police-Fans in Vancouver und überall auf der Welt wird das egal sein. Sie haben ihre Idole wieder - die Band, von der sie sich 100-mal hintereinander "So Lonely" angehört haben, weil sie gerade von einem Mädchen verlassen worden waren. Nach deren mitreißenden Songs sie in der Dorfdisco oder auf Studentenfeten wild getanzt haben. Die fünf Jahre lang den Soundtrack ihres Lebens geliefert hat. Und deren Sänger Anfang der 80er-Jahre das Sexsymbol des Pop war. Zwar sagt Sting heute: "Ich war damals unsympathisch, aggressiv, böse und egoistisch." Aber den Fans war's egal. Vor allem den weiblichen.

Wenn The Police am 11. September in die Hamburger AOL-Arena (die dann HSH-Nordbank-Arena heißt) kommt, ist das Trio bereits seit mehr als drei Monaten auf Tour. Hoffentlich in derselben Form wie in der kanadischen Westküstenmetropole und ohne Streit und Prügeleien. Waren die roten Punkte auf Stings T-Shirt vielleicht doch Blut von einem Nasenstüber, den Copeland ihm verpasst hat? Wohl kaum.

Eher die Idee des Tour-Designers.

Konzerte in Hamburg

The Who: Mo 18. Juni, Stadtparkbühne, Karten zu 72,38 Euro ;

Peter Gabriel: Di 19. Juni, Stadtparkbühne, Karten zu 72,13 Euro . Karten für beide Konzerte im Abendblatt-Center, Caffamacherreihe 1, T. 303 73 20.

Genesis: Fr 15. Juni, AOL-/HSH-Nordbank-Arena. Ausverkauft!

Police: Di 11. September, AOL-/HSH-Nordbank-Arena, Karten ab 120 Euro im Vorverkauf.