Hamburg. Es war nicht seine prägnanteste Rolle. Es war auch nicht die notwendigste Inszenierung. Und nicht einmal die Kritiken waren bahnbrechend. Trotzdem beschreibt die Rolle, die Norman Hacker in Sibylle Bergs "Nie mehr lieben" in der Gaußstraße spielte, die Qualitäten des Thalia-Schauspielers vielleicht wie keine andere: Hacker war der "Universalmann". Er ist der Universalmann. Nun klingt es immer ein wenig nach Allgemeinplatz, jemanden für seine Bandbreite zu loben - und kann nicht Bandbreite auch Beliebigkeit bedeuten? Konturlosigkeit? Vielleicht. Aber nicht in diesem Fall.
Norman Hacker, der an diesem Sonntag mit dem Rita-Tanck-Glaser-Schauspielpreis der Hamburgischen Kulturstiftung ausgezeichnet wird, ist keiner, der einem wegen seiner Manierismen im Gedächtnis bleibt. Er ist kein Bühnentier wie Peter Kurth, dessen Präsenz so eindrucksvoll durch die Leibesfülle unterstrichen wird, ist keine Fritzi Haberlandt, deren Eckigkeit auch seltenen Theaterbesuchern im Gedächtnis bleibt. Er ist kein besonders schöner und kein besonders hässlicher Mensch. Aber er fällt auf. Nach einer Weile. Weil er den Figuren, die er darstellt, eine starke Präzision gibt, sie mit hoher Konzentration spielt - umso intensiver schmeckt der Zuschauer ihre Essenz.
Zwei Charaktere lassen sich besonders herausheben: Zum einen die Krampfgesellen, die Festgehaltenen, die brodelnden Spießer, die gegen sich selbst so hart sind wie gegen andere (der Kontrollfreak Helmer in Stephan Kimmigs "Nora", der arrogante Thomas in den "Buddenbrocks" desselben Regisseurs, der Dr. Franz Schöning in Thalheimers "Lulu"). Hacker spielt sie mit dem wahrnehmbaren Zucken der Mundwinkel, das Bürgerliche erhält durch seine Darstellung einen gefährlichen Subtext. Im Grunde fasziniert er häufig mit dem Gegenteil von Leichtigkeit. Zwei Rollen, erzählt er immer wieder, haben ihn besonders stark beansprucht, einmal war er Täter, einmal Opfer, einmal der psychopathisch-brutale Patrick Bateman aus "American Psycho" am Stadttheater Graz, wo der Österreicher vor seinem Thalia-Engagement zum Ensemble gehörte, einmal der als Kind vom Vater vergewaltigte Christian in Kimmigs beklemmender Inszenierung "Das Fest" in Hamburg.
Das zweite Fach, für das Hacker bemerkenswertes Talent beweist, ist die Komik, der er sich, scheint es, mit ähnlicher Konzentration nähert. Paradebeispiel ist Martin Kusejs 70er-Jahre-Version von Feydeaus "Floh im Ohr", in der er in der Doppelrolle als Bordell-Faktotum Poche und verklemmter Chandebise brilliert - "als hätte er Schizophrenie und nicht Schauspiel studiert", schwärmte "theater heute".
Hacker ist als Einzelkind in einer Großfamilie aufgewachsen - vielleicht die beste Voraussetzung, um sich in einem so hervorragenden Ensemble wie dem des Thalia-Theaters sowohl eine sehr individuelle Stellung erkämpft zu haben als auch als Teamplayer aufzufallen. In der Jurybegründung für den Glaser-Preis wird nicht nur seine "psychologische Genauigkeit" gelobt, sondern auch die "markante Schauspielerpersönlichkeit" und Hackers Kollegialität. Norman Hacker, der Universalmann. Zum immer wieder lieben.