Literatur - Der neugegründete “marebuchverlag“ setzt auf Geschichten über das Meer.

Hamburg. Wer "mare" liest, ist anders. Irgendwie cool, irgendwie kultig, irgendwie intellektuell. Nicht zwangsläufig Segler oder Tiefseetaucher oder Bademeister. Wer so was von "mare"-Lesern denkt, hat sich ohnehin schon disqualifiziert. Es ist nämlich gerade cool, kultig und intellektuell, "mare" zu lesen, wenn man eigentlich nichts mit Wasser zu tun hat. Oder nur in dem Sinne wie der Angeber unter den Abonnenten, der die Zeitschrift als seine Gästeklo-Lektüre auserkoren hat. Wie so jemand Meeresrauschen simuliert, liegt ja auf der Hand. Die Zeitschrift aus dem Hamburger Dreiviertelverlag, der seinen Namen dem Wasser-Land-Verhältnis der Erde verdankt, sei ein Produkt, das "niemand braucht, keinen klüger macht und auch das Mitredenkönnen fällt weg", hat Gründer und Herausgeber Nikolaus Gelpke einmal gesagt. Und weil so viel ironische Selbstsicherheit nach mehr verlangt, sticht im Herbst, nach der Zeitschrift und dem NDR-Fernsehformat "mare TV", gleich das nächste Flaggschiff in See: Gleichberechtigt mit dem ehemaligen Rowohlt-Verleger Nikolaus Hansen gründete der Dreiviertelverlag jetzt den "marebuchverlag". Der soll zwar nach bewährtem "mare"-Konzept funktionieren, aber vollkommen eigenständig arbeiten. Entscheidend ist auch hier die inhaltliche Verbindung zum Meer - sowohl konkret als auch metaphorisch, mal belletristisch, mal als Sach-, Koch- oder Reisebuch. Schon die neuen Verlagsräume machen dem gewählten Thema alle Ehre - und lösen sehnsuchtsvolle Stoßseufzer bei Besuchern aus: Vis-à-vis der Hamburger Speicherstadt im obersten Stockwerk des Slomanhauses thront Verlagskapitän Hansen auf seiner "Brücke" über genau der Schleuse, an der die Alster sich mit der Elbe verbindet. Mehr Symbolik geht nicht. "Relativ bald" nach seinem Weggang vom Rowohlt-Verlag, so der 50-Jährige, habe er "gemerkt, dass mir das Konzernleben keinen Spaß macht". Jetzt kommt er mit ganzen vier Mitarbeitern und zwei Volontären aus. Wendiges Ruderboot statt Ozeanriese sozusagen, um im maritimen Bild zu bleiben. Oder vielleicht treffender: Auster statt Walfisch. Klein, aber fein. Wie das erste Programm, das ab 7. September in den Buchhandlungen vertreten sein wird. Da tummeln sich David Foster Wallace, Robert Gernhardt und Charles Sprawson in der Übersetzung von John von Düffel (der schon mit seinem Roman "Vom Wasser" bewiesen hat, dass er dem fließenden Element sehr zugetan ist), große Namen wie Sten Nadolny, Peter Rühmkorf und Jon Fosse sollen bald folgen. Zwar sei eine Autorenbindung nicht möglich, dennoch falle es nicht schwer, gute Schreiber für den themenbezogenen Verlag zu gewinnen, erzählt Hansen. "Wir laden die Autoren einfach ein, ihre Geschichten vom Meer zu erzählen." Die Taschenbuchrechte gehen an deren jeweilige Stammverlage, "und so haben dann alle etwas davon". In spätestens drei Jahren will man schwarze Zahlen schreiben. Jährlich um die 20 Neuerscheinungen plant der Verlag, später außerdem Hörbücher im Eigenvertrieb und eine eigene Taschenbuchreihe in Kooperation mit einem der großen deutschen Taschenbuchverlage. Dessen Namen hält Hansen vorerst noch geheim, "um laufende Verhandlungen nicht zu gefährden". Außerdem, fast liegts auf der Hand, steht die Zusammenarbeit mit Kreuzfahrt-Anbietern an: Ein exklusiv verfasster "mare"-Titel als Betthupferl auf dem schwankenden Kopfkissen ist dort angedacht. Und ab September (in Hamburg am 20.9. im Literaturhaus) startet eine kulinarische Lesetour durch Deutschland. Wer 79 Euro für ein maritimes 5-Gänge-Menü übrig hat, darf mit fünf aktuellen und zukünftigen mare-Autoren Meeresfrüchte und Fisch verspeisen. Auf kreative und intelligente Weise gegen den Strom schwimmen, lautet also offenbar die Devise. Dennoch: Eine Verlagsneugründung ist durchaus ein Wagnis in einer Zeit, in der andere kräftig sparen und verschlanken müssen. Aber die Weiten der Ozeane sind schließlich auch unergründlich - oder, um mit Robert Gernhardt zu sprechen, der an dieser Stelle der Poseidon unter den Lyrikern sei: "Das Meer ist tief, die Welt ist schlecht, wie ihrs auch dreht - der Wal hat Recht." Am 23.8. stellt Nikolaus Hansen sein Programm mit einer Lesung auf einer Barkasse vor, am 24.8. liest John v. Düffel an gleicher Stelle aus der "Kulturgeschichte des Schwimmens". Start ist jeweils um 21.30 Uhr am "Mäuseturm" (Hohe Brücke 2), Karten zu 7 Euro können unter Tel. 355 39 60 reserviert werden.