Interview: Der Schauspieler Maximilian Schell über seine politischen Aktivitäten, über Kitsch und Alter

Hamburg. Er trägt einen schwarzen Schal. Natürlich. Maximilian Schell trägt immer einen schwarzen Schal. Der ihm etwas Würdevolles, Künstlerhaftes verleiht. Und dann diese Augen. Dunkel und musternd und direkt. Maximilian Schell ist 73 Jahre alt, aber - das muß ja keiner merken. Er gefällt sich noch immer in der Rolle des Charmeurs. Und spielt sie noch immer überzeugend. Als Grandseigneur eines Gestüts in dem Film "Alles Glück dieser Erde", den die ARD in der kommenden Woche ausstrahlt (siehe Kasten). Und ebenso als Gesprächspartner im Interview.

ABENDBLATT: Sie sind in Wien geboren und haben einen Schweizer Paß. Und doch werden Sie immer wieder als "deutscher Schauspieler" bezeichnet. Ärgert Sie das?

SCHELL: Nein. Ich bin Europäer. Und ich mag Deutschland. Ich finde die Schweiz allerdings politisch interessanter und hatte einfach das Glück, Schweizer zu sein. Das ist ja kein Verdienst. Wie ich acht oder neun Jahre alt war, ist mein Vater nach der Kirche beispielsweise immer "stimmen gegangen". Ich habe gefragt: "Was stimmst du denn?" Und er hat mir erklärt, daß man sein Leben, seinen Alltag, die Gesellschaft mitgestalten muß. Das gefällt mir. In Amerika und in Deutschland gibt es ja praktisch nur noch zwei große Parteien, und das Referendum wird selten benutzt. Das ist doch merkwürdig.

ABENDBLATT: Heute leben Sie in Österreich und den USA. Beschäftigt Sie die dortige Politik?

MAXIMILIAN SCHELL: Ich beschäftige mich nicht allzusehr mit Tagespolitik. Mich interessiert die Politik in großen Zügen. Deutschland zum Beispiel halte ich für eine reine Parteiendemokratie. Keine echte Demokratie. Es geht nicht um den Willen des Volkes, sondern um Parteien, Systeme, Publicity, wie in Amerika auch.

ABENDBLATT: Sind Sie je politisch aktiv gewesen?

SCHELL: Ja, aber anders. Für Vaclav Havel zum Beispiel habe ich die Rede gelesen, als er den Friedenspreis in Frankfurt bekam. Vor der Veranstaltung habe ich mit Weizsäcker gesprochen, der mir sagte, er kenne Havel sehr gut, aber diese Rede sei ihm nicht so sehr gelungen. Ich habe geantwortet: "Na, wenn Sie sich da mal nicht täuschen." Dann habe ich gelesen, und hinterher kam Weizsäcker und gab zu: "Sie hatten recht, ich habe mich getäuscht." Denn diese Rede war eine unglaublich gute Abrechnung mit dem Kommunismus. Und sicher ein Signal für die Revolution im Osten.

ABENDBLATT: Glauben Sie, durch Ihr Lesen Teil dieser Veränderungen gewesen zu sein?

SCHELL: Absolut. Mein Produzent rief noch am selben Abend aus Prag an, wo wir einen Film über Kafka drehen wollten, und sagte: "Die Rede war großartig, aber Sie werden nie mehr ein Visum für Prag bekommen." Drei Monate später war Havel Präsident. Und es gibt noch eine andere Geschichte: Im US-Fernsehen habe ich, kurz nachdem ich in Moskau Peter den Großen gespielt hatte, gesagt, Reagan müßte einmal nach Rußland kommen, um sich selbst ein Bild der Menschen dort zu machen. Reagan hat mich wohl damals a bissl verehrt, ich war auch einmal zum Essen im Weißen Haus eingeladen. Na, jedenfalls hat er das wohl gehört und ist tatsächlich nach Rußland gefahren. Und man sagt, das sei der Beginn der Tauwetterperiode gewesen. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber wenn Sie fragen, was ich politisch bewirkt habe, dann sicher so etwas. Ein parteipolitisches Engagement wäre nichts für mich. Willy Brandt, mit dem ich etwas befreundet war, hat beim Abendessen immer ganz andere Dinge erzählt als am nächsten Tag im Parlament. "Das muß ich, das ist Parteipolitik", hat er dann gesagt.

ABENDBLATT: Was meinen Sie, wenn Sie sich - wie in einem Interview - als "Sehnsüchtiger" beschreiben?

SCHELL: Glauben Sie allen Interviews? Ich finde solche Beschreibungen etwas unsinnig. Man folgt doch immer einer unbestimmten Sehnsucht. Nach Kreativität, nach Wissen. Mein guter Freund Friedrich Dürrenmatt hat immer gesagt: Ich bin nicht rechts, ich bin nicht links, ich bin quer.

ABENDBLATT: Es gibt ein gemeinsames Erlebnis von Ihnen, Dürrenmatt und Sokrates . . .

SCHELL: Allerdings. Der Dürrenmatt und ich haben in Athen im Theater gesessen, und irgendwann hat er gesagt: "Ob Sokrates hier wohl auch einmal im Parkett gesessen hat? Jeder Mensch hinterläßt doch Atome. Die bleiben dann 2000-3000 Jahre." Darauf sagte ich: "Dann laß uns doch nach den Atomen von Sokrates suchen!" Natürlich haben wir sie nicht gefunden. Aber die Suche danach war wahrscheinlich das Sinnvollste, was ich je in meinem Leben getan habe.

ABENDBLATT: Theater ist ein gutes Stichwort. Vor uns auf Ihrem Tisch liegt Ibsens "Baumeister Solness". Zum Vergnügen oder zur Vorbereitung?

SCHELL: Beides. Ich drehe gerade für die Serie "Der Fürst und das Mädchen", in der es auch um einen älteren Mann und ein junges Mädchen geht. Da möcht' ich einfach gern wissen, wie es anderswo ausgegangen ist.

ABENDBLATT: Sie sollen einmal gesagt haben: "Die Schauspielerei ist doch etwas für die Jungen."

SCHELL: Ich soll das gesagt haben?! Nie! Überhaupt nicht! Und wenn doch, dann habe ich sicher gemeint, daß ein junger Mensch eine andere Sehnsucht und Freude am Spielen hat. Weil er sein Leben erweitern will. Je älter man dann wird, desto mehr sucht man nach dem, was man selber ist. Das ist ja schwer genug.

ABENDBLATT: Sie sind Schauspieler, Regisseur, Schriftsteller, Journalist und waren sogar Sportreporter . . .

SCHELL: Das ist doch alles das gleiche. Es geht immer ums Begreifen, ums Verstehen. Wenns geht, ums Gestalten. Ums Akzentesetzen. Jeder Mensch möchte doch auch Akzente setzen. Der Schlingensief zum Beispiel, der möchte vielleicht sogar nur Akzente setzen.

ABENDBLATT: Dazu paßt ein Zitat von Gründgens, unter dem Sie am Schauspielhaus gespielt haben: "Man darf nicht zum Publikum hinuntersteigen, man muß es zu sich heraufholen." Wie paßt ein Fernsehfilm wie "Alles Glück dieser Erde" dazu, in dem Sie in einer recht vorausschaubaren Geschichte den verlorenen Vater von Uschi Glas spielen?

SCHELL: Gründgens hat auch Boulevard gespielt. Man darf dem Boulevard auch eine gewisse Zuneigung entgegenbringen.

ABENDBLATT: Ich darf aber sagen, daß ich diesen Film als Kitsch empfinde?

SCHELL: Ich habe nichts gegen Kitsch. Ich habe Kitsch sogar ganz gern. Man kann doch auch Liebe als Kitsch bezeichnen. Oder Musik. Oder Gedichte. Meine Mutter hat immer gesagt: "Kitsch kommt in der Natur nicht vor." Das stimmt nicht. Schauen Sie sich einen roten Abendhimmel an! Natürlich ist das kitschig. Aber doch auch schön.

ABENDBLATT: Sie sind 73 Jahre alt. Seit wann denken Sie über das Alter nach?

SCHELL: Seit ich denken kann. Sie nicht? Man denkt doch immer nach über das Leben und über den Tod. Cogito ergo sum. Ich denke, also bin ich. Das ist etwas Positives. Das hat nichts mit Resignation zu tun. Und wenn, ist auch das nichts Schlimmes. Die größten Künstler arbeiten aus Resignation. Oder aus Angst vor dem Tod. Weil man nicht weiß, was danach kommt. Mich fragte einmal jemand, wie ich sterben möchte. Ich sagte: pünktlich.