Der Hochstapler Gert Postel und die Frauen: Kai Christiansen über den Macht-Wahn eines Gestörten.

ABENDBLATT: Welche Postel-Geschichte wollen Sie erzählen? KAI CHRISTIANSEN: Ich möchte zeigen, was ihn antreibt. Man musste immer davon ausgehen, das Postel ein gestörter Mensch ist. Nach seiner Entlassung hat er es geschafft, wieder ein gänzlich anderes Bild von sich zu verbreiten. ABENDBLATT: Postel, der geniale Hochstapler. CHRISTIANSEN: Es gibt eine richtige Fanbewegung, der Mythos ist stark. Aber es ist eben nur ein Mythos. Und ich versuche zu erzählen, dass alles viel schlimmer ist. ABENDBLATT: Und das hat mit den Postel-Geschädigten zu tun? CHRISTIANSEN: Weniger mit den Institutionen, die er als falscher Arzt reingelegt hat, da hat man kein Mitleid. Aber es gibt noch andere Opfer, die hat er sich in kleinen Rollen als Telefonjunkie gesucht. Postel und die Frauen, das ist das eigentliche Thema. Da hat einer versucht, sich über Wasser zu halten, das ging nur über Telefonterror und über das Schmarotzen bei Frauen, die ihn aushalten. ABENDBLATT: Postel hat sich bei der Pressevorführung scheckig gelacht und gesagt, der Film bediene seinen Mythos. Er komme sogar noch zu positiv weg. Gibt Ihnen das nicht zu denken? CHRISTIANSEN: Dass ihm letztlich alles gefällt, lässt sich kaum verhindern, weil das einfach seinem Krankheitsbild entspricht. Aber natürlich hat ihn dieser Film geärgert, hat er sich bei mir beschwert. Und natürlich hat er auch bei uns versucht, Störanrufe zu starten. Er muss ja jetzt eine Art Strategie entwickeln, um dem Film irgendwie zu begegnen. Es ist das erste Mal, dass er diesen Teil seiner Geschichte nicht mehr wegleugnen kann. Dass Frauen verzweifelt die Polizei rufen, weil sie sich von ihm bedroht fühlen. ABENDBLATT: Postel sagt, der Film gebe seinem Narzissmus Auftrieb. CHRISTIANSEN: Der Film bedient im ersten Teil den Mythos, wie er im Moment noch existiert. Da sieht man noch die witzigen, frechen Operationen. Dass er damit immer tiefer in den Schlamassel gerät, möchte ich zeigen. Er will Macht ausüben, die Welt kontrollieren, das ist sein Wahn. Ihn als Arschloch zu beschimpfen, das trifft ihn nicht. Aber ich frag mich, wie er sich den Film mit seiner jetzigen Frau ansehen will. Und das wird er müssen, da gerät er in ein Dilemma. Nein, das ist keine lustige Nummer. Es dauert allerdings seine Zeit, bis die Zuschauer das erkennen. ABENDBLATT: Muss er denn gleich so viel Raum bekommen im Film? CHRISTIANSEN: Wir haben 20 Leute interviewt, Ärzte, Patienten, Journalisten, Politiker, Niemand sagt etwas Positives. ABENDBLATT: Wollte er selbst gern mitmachen? CHRISTIANSEN: Ich hatte schon nicht mehr damit gerechnet, denn auf Grund der ersten Informationen musste ihm klar sein, dass er die Fäden nicht in der Hand hält. Unsere Strategie war es, zunächst alle irgend möglichen Interviews mit anderen zu drehen und erst am Schluss das Gespräch mit Postel. Aber natürlich hat er gern mitgemacht. ABENDBLATT: Hatte er ein Mitspracherecht, und hat er Geld bekommen? CHRISTIANSEN: Weder noch. Ich hab auch nie bei ihm rückgefragt. Er selbst hat sich dann aus dem Gefängnis gemeldet, zunächst als "Spiegel"-Reporter. Ob wir etwas Neues über Postel wüssten. ABENDBLATT: Warum ein Doku-Drama? CHRISTIANSEN: Wir wollten auch Dinge zeigen, die wir vor der Kamera nicht zeigen konnten. Kaum eines seiner Opfer wollte sprechen, schon gar nicht vor der Kamera, aus Angst, von Postel wieder terrorisiert zu werden. Nach dem Vorbild der "Spiegel"-Redakteurin Gisela Friedrichsen habe ich daher das Mittel der Verfremdung gewählt und Henriette für die Rahmenhandlung erfunden. An ihr soll exemplarisch deutlich werden, wie Frauen sich bei Postel verstrickt haben. "Ich hab mich in dein Gesicht verliebt", "Ich möchte mit dir Kaffee trinken" - das war seine Masche. Die Gerichtsreporterin Peggy Parnass, die Postel persönlich kennt, beschreibt das vor der Kamera sehr plastisch. ABENDBLATT: Trotzdem noch mal die Frage: Leistet der Film nicht Postels Geltungssucht Vorschub? CHRISTIANSEN: Ist der Film etwa gescheitert, weil Postel nicht zusammengebrochen ist? Es kann nicht das Ziel sein, einem psychisch Kranken noch eine Ohrfeige zu geben.