Persönlichkeitsschutz siegt über Pressefreiheit - wenn sich deutsche Gerichte den Wünschen von Prominenten beugen. Journalistenverband sieht Staatsanwaltschaft Darmstadt in der Verantwortung.

Hamburg. Womöglich hat Ger Neuber Pressegeschichte geschrieben. Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt hatte am Dienstag eine Erklärung herausgegeben, in der es um "eine 26-jährige Sängerin" ging, die "wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung festgenommen" worden war.

Die Sängerin sei HIV-positiv und habe dennoch ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt. Nun sei einer ihrer Partner mit dem Virus infiziert.

Es geschieht nicht jeden Tag, dass eine Staatsanwaltschaft in einer Presseerklärung so detaillierte Einblicke in die Intimsphäre einer Beschuldigten gewährt. Auch dann nicht, wenn es sich bei ihr um eine "Person des Zeitgeschehens" handelt, wie Neuber sagt. Die Sängerin ist Mitglied der Band No Angels.

Dass die Medien über den Fall berichten würden, lag auf der Hand. Für sie war die Presseerklärung ja gedacht. Ebenso klar war, dass die Sängerin, die sich von dem Prominenten-Anwalt Christian Schertz vertreten lässt, versuchen würde, die Berichterstattung zu verhindern.

Tatsächlich erwirkte Schertz beim Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen die "Bild"-Zeitung, die ebenso wie das Hamburger Abendblatt im Verlag Axel Springer erscheint. Ungewöhnlich ist dagegen, dass die Richter jede Berichterstattung zu dem Ermittlungsverfahren untersagten. Auch über die Gründe, die zu der Anordnung der Untersuchungshaft führten, darf nicht berichtet werden.

Sind die Richter deshalb "Feinde der Pressefreiheit", wie "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann in einem Kommentar schreibt? Zumindest dürfte ihre Entscheidung den bei Journalisten weit verbreiteten Eindruck verstärken, dass die Justiz so ihre Probleme mit der freien Presse hat: Das sogenannte Caroline-Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2004 soll die Berichterstattung über das Privatleben Prominenter erschweren. Zudem fühlen sich immer wieder Staatsanwaltschaften berufen, aus nichtigem Anlass Redaktionen zu durchsuchen. So etwa die Staatsanwaltschaft Potsdam, die 2005 Unterlagen des Magazins "Cicero" beschlagnahmte, das aus geheimen Papieren des BKA zitiert hatte.

"In letzter Zeit schlägt das Pendel mehr in Richtung Persönlichkeitsschutz als in Richtung Medienschutz aus", sagt Emanuel Burkhardt. Der Stuttgarter Medienrechtler ist geschäftsführender Vorstand des Studienkreises Presserecht und Pressefreiheit. Er wägt jedes Wort genau ab. Zu dem Fall der Sängerin will er sich nicht äußern, da er mit ihm nicht vertraut sei. Sieht er die Pressefreiheit in Gefahr? "Nein", sagt Burkhardt. "Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht bemühen sich in Pressesachen um eine ausgewogene Rechtsprechung."

Tatsächlich beugen sich deutsche Gerichte trotz des "Caroline-Urteils" nicht den Wünschen Prominenter. So scheiterte kürzlich Günther Jauchs Frau Dorothea Sihler mit einer Klage vor dem Oberlandesgericht Hamburg. Sie hatte wegen des Abdrucks eines Fotos ihrer Hochzeit in der "Bunten" Unterlassung und Schadenersatz gefordert.

Auch der Fall "Cicero" hatte einen positiven Ausgang. Das Bundesverfassungsgericht wertete 2007 das Vorgehen der Potsdamer Juristen als unzulässigen Eingriff in die Pressefreiheit.

Im Fall der Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren gegen die Sängerin ist das letzte Wort nicht gesprochen. "Bild" hat gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch eingelegt.

In Pressekreisen gibt es kaum Verständnis für die Entscheidung der Richter: "Die Verantwortung für die Berichterstattung liegt in diesem Fall bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt und nicht bei den Journalisten", sagt der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, Michael Konken. Eine Berichterstattung über das Gerichtsverfahren müsse möglich sein, solange sie nicht der Schaulust diene und mit Fingerspitzengefühl erfolge.

Und was sagt der Sprecher der Darmstädter Staatsanwaltschaft, der mit seiner Meldung die Sache erst ins Rollen brachte? Er ist sich keiner Schuld bewusst. "Hätten wir die Erklärung abstrakt gehalten, wären die Medien von selbst darauf gekommen", sagt er. "Spekulationen wären Tür und Tor geöffnet gewesen."