Ein Treffen mit “24“-Star Kiefer Sutherland, der als Terrorbekämpfer Jack Bauer weltbekannt und in den USA auch zum Politikum wurde. Bilder zum Artikel.
München. Jetzt lieber keine falsche Bewegung. Um die 200 sehr unfreiwillige Todesfälle gehen seit 2001 auf sein Konto, ein Ende ist nicht in Sicht. Er hat so ziemlich jede illegale und schmerzhafte Methode angewendet, um an Informationen zu kommen. Jack Bauer - wen wundert's, die gleichen Initialen wie das britische Original James Bond und die eher hektische Kopie Jason Bourne - ist niemand, dem man die Laune auch nur ansatzweise verderben möchte. Und nun sitzt er einem für sehr penibel abgezählte 15 Minuten gegenüber, breit grinsend über beide Hamsterbäckchen, und heißt in Wirklichkeit Kiefer Sutherland. Nicht groß, nicht muskelbepackt. Fast schon unscheinbar. Jemand, der die gerade herausgekramten Zigaretten schnell wieder wegsteckt, um das Gegenüber nicht unnötig auf das Gespräch warten zu lassen und neben seiner Gitarrensammlung seit Kurzem auch ein fast poetisches, auf jeden Fall aber sehr dezentes Hobby hat: Fotografieren. Sich ein Bild von der Welt machen und festhalten, wie er sie sieht.
Es kommt aber noch skurriler. Der Mann, den seine Fans auf der ganzen Welt als Jack Bauer, den härtesten Hund jenseits von 007, bewundern, hat nicht nur eine ausgeprägte und eher uncoole Abneigung gegen die Konsistenz von Käse, Avocado und weich gekochten Eiern ("Ich war schon als Kind sehr wählerisch mit dem Esse ...."). Er trägt stolz eine bayerische Trachtenweste über dem weißen Hemd, sieht damit aus wie ein volkstümelnder Musikant auf Stadl-Freigang und schwärmt vom Charakter seines deutschen Schäferhunds Otto. So kann man sich täuschen.
Zwei Stunden zuvor, in einer ebenso amüsanten wie inhaltsarmen Pressekonferenz in einem Münchner Nobel-Lokal, hatte Sutherland noch orakelnd in sein Mikro gemurmelt: "Wenn man Dinge zeigt, dann können sie auch passieren." Auto-Fan Carlos Bernard, besser bekannt als Bauers langjähriger "24"-Kollege Tony Almeida, berichtete glucksend vor Glück, er habe mit einem Maserati ausprobiert, wie es ist, ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf einer Autobahn unterwegs zu sein.
Fahrspaß beiseite: Das von Sutherland angesprochene Thema möchte man, konsequent weiter gedacht, lieber nicht so genau erleben. Denn wenn es in der Zeit nach den Anschlägen vom 11. September eine TV-Serie gegeben hat, die brisante Fragen zu Politik und Moral, rasante Action und die apokalyptischen Bedrohungsängste der Bush-Administration auf den Punkt gebracht und visualisiert hat, dann war es "24" (s. Info-Kasten).
Dort gab es schon einen schwarzen, sehr charismatischen Präsidenten, als noch niemand einen gewissen Barack Obama kannte. Im Laufe der Jahre wurde kein Bedrohungsszenario ausgelassen, und nur sehr wenige Klischees über bad guys aus dem In- und Ausland. Etliche US-Präsidenten kamen und gingen, etliche Bomben kamen und gingen hoch. Bauer hatte gut zu tun. Und seine Kritiker ebenfalls, die sich oft nicht entscheiden konnten zwischen adrenalingetränkter Begeisterung über die Raffinesse und das Tempo und die ausgebuffte Dramaturgie dieser Serie und der Skepsis wegen ihrer vielen moralischen Fußangeln.
Die aktuelle, siebente Staffel, gerade in den USA angelaufen, spielt am Tag der Amtseinführung einer Präsidentin. Und hätte der Autorenstreik 2008 nicht für eine einjährige Zwangspause gesorgt, hätten die US-Zuschauer damals in den Nachrichten zeitgleich gesehen, dass Hilary Clinton sehr nah am Oval Office war. Soviel zum Thema "Yes we can".
Die "24"-Autoren waren mit ihren schweißtreibenden Stories oft ihrer Zeit voraus, oft so perfide und clever, dass man sich schon fragte, ist das noch Vision oder nicht womöglich real, irgendwo, versteckt in Akten, begraben unter offiziellen Dementis oder lieber gleich unter der Erde. In "24" wurden aber auch Dutzende von Folterszenen gezeigt, die diese Serie unter US-Soldaten im Kriegseinsatz und in West Point so beliebt werden ließ, dass Vorgesetzte und auch die Serien-Stars eindringliche Appelle formulieren mussten, Bauers Verhörmethoden nach dem Prinzip "Erst mal den Schraubenzieher ins Bein, dann fragen" seien total fiktiv, vor allem aber total verwerflich.
Es ist der 20. Januar, "Inauguration Day" in Washington.
Bush ist weg. Jack is back. Und ratloser als je zuvor. Doch für Sutherland ist diese kontroverse Action-Figur nicht nur kalter Folterknecht, der sich für sein Land die Finger blutig macht, sondern vor allem eine tragische Gestalt: "Das liebe ich so an der Figur. In der ersten Staffel wollte er den Präsidentschafts-Kandidaten beschützen, bekam seine Teenager-Tochter aber nicht in den Griff. Okay, dachte ich damals, ich habe auch eine Tochter in dem Alter, das kenne ich. Am Ende der Staffel hatte Jack seinen Job erledigt, aber seine Frau verloren. Es wird einem nichts geschenkt, alles hat am Ende des Tages seinen Preis. Das ist etwas, mit dem sich so viele Leute identifizieren können und was den weltweiten Erfolg der Serie ausmacht. Es muss da etwas viel Tieferes geben als ein einzelnes kulturelles Phänomen, um den Erfolg zu erklären - diese Grauzone, in der er lebt und in der er sich mal mehr, mal weniger erfolgreich durchschlägt. Jack Bauer ist ein Loser."
Andererseits hat er auch seine guten Seiten. "Er hat einen unglaublich klar ausgerichteten Moral-Kompass. In jeder Situation entscheidet er sich für das, was er für richtig hält, egal, ob es das ist oder nicht. Er entscheidet sich. Das bewundere ich sehr." Ist diese nach dem nun ehemaligen Präsidenten Bush klingende Denkweise, dieses "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" nicht mittlerweile ausrangiert worden? "Nein", widerspricht er energisch, "wir haben ja noch in der Clinton-Ära begonnen. Mich hat mal jemand gefragt, warum diese Serie so rechtslastig ist. Rechtslastig? Wir hatten den ersten afroamerikanischen Präsidenten, wir stellten einen republikanischen Präsidenten vor Gericht. Wo bitte ist das rechtslastig? Man muss sehr aufmerksam beobachten, wer unsere Show für seine eigenen Anliegen instrumentalisiert."
All das sagt Sutherland mit diesem flüsternden "Tausende-von-Menschenleben-sind-in-Gefahr!"-Tonfall, dem man an diesem Tag die privaten Zigaretten sehr deutlich anhört und vielleicht auch die nicht immer alkoholfreien Reste der letzten Münchner Nacht. Dieses Markenzeichen, mittlerweile viel wirkungsvoller als die von Vater Donald Sutherland vererbte Kieferpartie und die putzigen Ohrläppchen, hat aber auch sein Gutes, erzählt er amüsiert. Wenn er etwas dringend will und das so sagt, dann passiert es nur sehr selten, dass jemand nicht pariert.