Ulrike Folkerts und Suzanne von Borsody stehen in Hamburg erstmals gemeinsam auf der Bühne.

Hamburg. Jede ist auf ihre Weise eine engagierte Frau und Ausnahmekünstlerin. Suzanne von Borsody hat viele Filme gedreht und wurde für ihr soziales Engagement 2006 mit dem Medienpreis Brisant-Brillant ausgezeichnet. Ulrike Folkerts ist bundesweit bekannt als "Tatort"-Kommissarin Lena Odenthal, spielte in Salzburg als erste Frau den Tod im "Jedermann" und macht sich stark für Kinder mit Krebserkrankung. Beide sind ab 15. Januar am Ernst-Deutsch-Theater in der Uraufführung von Francis C. Winters Drama "Spurensuche" zu sehen. Regie führen Claudia Prietzel und Peter Henning. In seinem zweiten Stück behandelt der Berliner Autor und Adoptivsohn von Judy Winter die Tabuthemen sexueller Missbrauch, Pädophilie und Mord - aus der Perspektive der Mütter von Opfern und Tätern. Ein Gespräch über Verantwortung, Rollenklischees und Glücksmomente.


Abendblatt:

Wie haben Sie sich auf Spurensuche begeben?

Ulrike Folkerts:

Wir haben das Stück akribisch durchforstet - jeder für sich und dann miteinander. Wir sind immer noch auf der Suche. Ich bin nach intensiven Proben nach Hause gegangen und habe das Stück noch einmal gelesen. Das mache ich mit Drehbüchern nicht.



Suzanne von Borsody:

Doch, Ulrike, das machst du auch bei Drehbüchern.



Folkerts:

Beim "Tatort" mache ich es nicht. Die Rolle kenne ich. Für mich ist diese Ausführlichkeit neu, sich mit einer Figur zu beschäftigen. Ich wusste bisher nicht, dass es so viele Möglichkeiten gibt, sich einem Charakter anzunähern.



Abendblatt:

Deshalb sind Sie beide ja auch Schauspielerinnen.

Von Borsody:

Man sagt ja immer, man geht auf Reisen, um andere Länder kennenzulernen. Ich glaube, man geht auf Reisen, um sich selber kennenzulernen. Das gilt auch für die Schauspielerei. Und deshalb ist es immer eine Freude, sich einer Figur zu nähern, die erst mal ein bisschen weiter weg scheint, um dann zu gucken: Wo ist das Echo in mir? Wie finde ich einen Weg, mich dieser Figur anzunähern und sie mit Leben zu füllen?



Abendblatt:

Sie arbeiten zum ersten Mal zusammen, und es ist überraschend, dass es nicht beim Film passiert, sondern auf der Bühne.

Folkerts:

Film wäre auch toll gewesen. Am liebsten würden wir das Stück auch noch verfilmen, oder, Suzanne? Das Schöne am Theater ist, dass wir wahnsinnig viel Zeit miteinander verbringen können. Wir müssen 41 Vorstellungen bewältigen. Das ist ein Marathon. Dafür brauchen wir einander. Das ist beim Drehen ganz anders, wo man sechs Wochen für den ganzen Film hat.



Von Borsody:

Außerdem kann man so schön ungeschminkt und fern der Heimat Probenklamotten und merkwürdige Fiffis auf'm Kopf tragen.



Folkerts:

Es ist eine sehr pure Begegnung - inklusive aller Unsicherheiten und Ängste.



Abendblatt:

Ist die Bühne aucheine Möglichkeit, Rollenklischees zu entrinnen? Vor allem für Sie als "Tatort"-Kommissarin, Frau Folkerts?

Folkerts:

Das ist tatsächlich eine nette Begleiterscheinung. Eine Lena Odenthal hat hier nichts zu suchen - weder in der Garderobe noch auf der Bühne. Und ich hoffe, dass der Zuschauer das auch akzeptiert.



Von Borsody:

Tut er, Ulrike!



Folkerts:

Sagst du. Auf der Lesereise habe ich erlebt, dass die Leute danach gesagt haben: Also, die Lena Odenthal, die kenne ich, aber die, die da heute gelesen hat ... Nee!



Abendblatt:

Im Januar sieht man Sie zudem in den Fernsehfilmen "Die Rebellin" und "Willkommen zuhause". Eine richtige Anti-Lena-Odenthal-Ballung.

Folkerts:

Ja, jetzt ballt es sich. Und ich freue mich sehr darüber. Die Produzenten sollen sehen, dass man auch mit diesem "Tatort"-Nasen-Gesicht viel wagen kann. Denn mein Wunsch ist es, als Schauspielerin zu arbeiten und nicht nur als "Tatort"-Kommissarin.



Von Borsody:

Wenn man Ulrike zusieht, sieht man auch eine Schauspielerin. Und nicht eine Rolle. Ach, wie oft wird man mit den Rollen verwechselt, die man spielt! Deshalb ist es ein Geschenk, wenn man die Bühne zur Verfügung bekommt und zeigen kann, dass man seinen Beruf gelernt hat.



Abendblatt:

Das Thema des Stücks passt auch zu Ihrem großen sozialen Engagement.

Folkerts:

Ich finde es immer interessanter, an einer Produktion beteiligt zu sein, in der es um etwas geht. Und hier geht es um eine ganze Menge.



Von Borsody:

Nichts gegen Komödien. Leute zum Lachen zu bringen ist was ganz Schönes.



Folkerts:

Klar, Komödien sind wahnsinnig wichtig. Aber das eine schließt das andere ja nicht aus. Nur du musst wissen, warum du etwas machst. Und hier weiß ich es genau.



Abendblatt:

Trägt man als Schauspielerin eine besondere Selbstverantwortung nach außen?

Von Borsody:

Ich glaube an die Verantwortung eines Schauspielers in Interviews, die Plattform, die ihm geboten wird, noch anders als für den eigenen Marktwert zu nutzen.



Abendblatt:

Frau Folkerts, Sie haben vor Kurzem ein Buch über das Glück geschrieben. Was sind für Sie beide Glücksmomente?

Folkerts:

Im Buch geht es darum, wie oft man am Tag eigentlich glücklich sein kann. Wie viele kleine Momente des Glücks es gibt. Übertragen auf die Bühne: Jeder Satz, der stimmt, ist ein Glücksmoment. Jeder wahre Moment. Wenn ich Suzanne in die Augen schaue, und sie schaut mich an. Theater zu spielen ist berauschend. Süchtig machend.



Von Borsody:

Das ist wie beimJonglieren. Wenn der Ball nicht runterfällt und man immer mutiger wird.



Abendblatt:

Profitiert Ihr Fernsehspiel vom Bühnenspiel?

Von Borsody:

Für mich gibt es zwei Arten von Schauspielern: Formalisten und Existenzialisten. Ich bin Existenzialist.



Abendblatt:

Heißt was?

Von Borsody:

Sich ausliefern. Sich trauen, Fehler zu machen. Hose runterlassen.



Abendblatt:

Und Sie, Frau Folkerts, sind Sie Formalistin?

Von Borsody:

Ach was, die ist auch eine Existenzialistin.